Verschwoerung der Frauen
mich, eine Art Läuterung, wie sie angeblich in einer Psychoanalyse oder Therapie geschieht.«
»Das gleiche behauptete Virginia Woolf über ihre Erfahrung, als sie ›Die Fahrt zum Leuchtturm‹ schrieb«, sagte Dorinda. »Es muß nicht die Wahrheit sein, die man niederschreibt, auf die eigene Vision der Wahrheit kommt es an«, fügte sie hinzu und sah Anne an.
»Wir alle haben eine Vision unserer Zukunft«, sagte Nellie. »Ich habe nie an Freundschaften geglaubt, die von der Kindheit an das ganze Leben hindurch unverändert fortbestehen, so wie ich auch nicht an sehr lange Ehen glaube, in denen sich nichts verändert. Viel wichtiger ist es, einander immer wieder neu zu entdecken. Es fällt mir schwer, mich richtig auszudrücken, aber wir drei wollten nicht bei unserer gemeinsamen Jugend anknüpfen. Wir wollten gemeinsam nach vorn denken. Gibt es eigentlich ein Wort für das Gegenteil von erinnern? Die Kindheit wird weit überschätzt. Ich glaube, wenn man fünfzig ist, hat man die Chance, der Kindheit zu entrinnen und damit all ihren Schrecken. Wir jedenfalls sind ihr entkommen, als wir fünfzig waren.«
»Ich hole den Champagner«, sagte Kate. Sie sah die drei sechzigjährigen Frauen an – reife Frauen, die nicht mehr Gefangene ihrer Vergangenheit waren, ohne ihre Kindheit verloren zu haben. Für sie, wie für Gabrielles Roman, zählte die Zukunft. Und noch mehr als die Zukunft zählte die Gegenwart.
»Nein«, sagte Kate zu Anne, die sich erhoben hatte. »Helfen Sie mir nicht. Jetzt möchte ich Ihnen allen dreien den Champagner kredenzen, und dann trinken wir auf uns vier und auf Gabrielles Roman!«
Sie ging aus dem Raum und überließ es den dreien, sich anzulä-
cheln und auf die Zukunft zu freuen.
Und welche Freuden brachte die Zukunft ihr? Nun, das aufregende Abenteuer, Gabrielle wieder zum Leben zu erwecken, so wie Gabrielle Ariadne wieder zum Leben erweckt hatte. Emmanuel Foxx hatte seinen Triumph gehabt. Niemand würde je erfahren, daß sein Sohn ihn umgebracht hatte, und wahrscheinlich würde auch niemand 186
sein Genie in Zweifel ziehen. Dennoch gab es jetzt auch Gabrielles Vermächtnis, das sein literarisches Testament in Frage stellte, an ihm rüttelte.
Kate hatte das Gefühl, als sei ihr eine seltene Chance vergönnt, einer jener Momente, die all die verpaßten Gelegenheiten, die halb-herzig errungenen literarischen Erfolge, die Niederlagen im Kampf mit der Bürokratie und kleingeistigen, der Vergangenheit verhafteten Männern wieder ausgleichen. Der Moment würde nicht andauern, aber solange er währte, wollte sie ihn genießen. Sie hatte Dorinda die ganze englische Literatur als Geschichte der zweiten Chancen dargestellt. Und hier war also ihre zweite Chance, und Gabrielles und Ariadnes.
Die Champagnerflasche, der Eiskübel und die vier hohen Gläser machten das Tablett schwer, aber Kate balancierte es leichtfüßig zu den drei wartenden Frauen, wie eine Gabe an die Götter.
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