Verschwoerung der Frauen
britische Geheimdienst in der Lage waren, Antworten zu finden, sie waren nur nicht in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen.
Und ein Biograph? Konnte sie, Kate Fansler, sie stellen? Auf völlig unvernünftige Weise glaubte Kate an das Schicksal, die Vorsehung und die Bedeutung von Zufällen. Aber solch einen Glauben konnte man kaum aussprechen, geschweige denn verteidigen. War Simon Pearlstines Angebot nicht genau die Art von Zufall, die die Menschen in früheren, einfacheren Zeiten als ein Zeichen der Götter betrachtet hätten? Nein, göttliche Vorsehung war hier wohl nicht im Spiel. Trotzdem: Ungenutzte Chancen, nicht beim Schopfe gefaßte Gelegenheiten, nicht angenommene Herausforderungen konnten sich zu einem Leben addieren, das trübselig immer in ein- und derselben Bahn verlief, nur dem trägen Pfad von Sicherheit und Selbstzufriedenheit folgte. Hatte nicht genau deshalb ihre Arbeit als Amateurde-tektivin einen so großen Reiz für sie besessen? Und hatte sie je selbst nach einem Fall gesucht? Nein. Die Fälle waren zu ihr gekommen, und sie hatte sie übernommen, denn wenn man gerufen wird, muß man folgen, oder sich wie einer von le Carrés Helden standhaft ver-weigern. In Unentschiedenheit und Wankelmütigkeit zu verharren war nicht gestattet. Ende der Vorlesung.
Bei allen ihren »Fällen« waren ihre in der akademischen Welt ge-rühmten literarischen Kenntnisse wenn auch nicht notwendig, so doch sehr hilfreich gewesen. Sie schien Fälle, bei denen ihre besonderen Talente gefragt waren, förmlich anzuziehen. Das war, von allen anderen auf der Hand liegenden Motiven einmal abgesehen, der Hauptgrund, warum sie lieber Literaturprofessorin als Privatdetektivin war. Schließlich konnte sie schlecht ein Schild an der Tür an-bringen mit dem Hinweis: Privatdetektei, vorzugsweise für literarische Fälle.
Gabrielle Foxx. Wie hatte sie mit Mädchennamen geheißen? Ka-te sah im Index nach: Howard. Gabrielle Howard Foxx. Geboren 1889. Brannte 1905 mit Emmanuel nach Paris durch. Das einzige Kind, Emile, 1906 geboren. Emile heiratete 1925 Hilda. 1926 wurde Enkelin Nellie geboren. Emmanuel starb 1942. Emile 1944 für tot erklärt. 1950 zog Gabrielle wieder nach England. Sie starb 1959.
Kate machte eine Liste dieser Daten, die sie mit einiger Mühe Hansfords Biographie entnommen hatte, denn diese enthielt nur eine chronologische Auflistung von Foxx’ Veröffentlichungen und keine der Lebensdaten. Konstituierten diese Daten ein Leben? Früher hätte 17
man sie wohl für ausreichend gehalten, um das Leben einer Frau zu dokumentieren, vor allem in jenen Tagen, wo der Name einer Frau nur zu drei Gelegenheiten in einer Zeitung gedruckt wurde: bei Geburt, Hochzeit und Tod. Weshalb eine Biographie über Gabrielle?
Weil sie von zu Hause fortgelaufen war, mit einem berühmten Schriftsteller, einem der Protagonisten der klassischen Moderne, zusammengelebt und ihn vielleicht inspiriert hatte?
Kate betrachtete noch einmal Gabrielles Foto, das aus dem Fenster blickende Gesicht. So, wie die Fotos nebeneinander arrangiert waren, blickte sie aber nicht nur aus dem Fenster, sondern auch fort von dem Mann auf dem thronartigen Stuhl. Angenommen, fragte sich Kate, einer aus der Familie Goddard oder Nellie Foxx hätte mich als Privatdetektivin angeheuert, alles über Gabrielle herauszufinden, was es herauszufinden gab? Hätte ich den Fall angenommen?
Wahrscheinlich. Aber wollte sie sich auf eine literarische Auftrags-arbeit über Gabrielle, die mehrere Jahre Arbeit erforderte, einlassen?
Kaum.
An genau dem Punkt verweilten Kates Gedanken eine der zwei Wochen, die ihr bis zum nächsten Treffen mit Simon Pearlstine blieben.
Zu Beginn der zweiten Woche, als der Gedanke an die Biographie in den Hintergrund getreten war, erhielt sie einen Umschlag von Simon Pearlstine, der ein dünnes Manuskript und einen Begleitbrief enthielt. Pearlstine schrieb:
Liebe Kate (wenn Sie gestatten),
ob Sie die Gabrielle-Biographie nun übernehmen oder nicht – na-türlich hoffe und bete ich, daß Sie es tun –, ich habe mich entschlossen, Ihnen das beigefügte Manuskript anzuvertrauen. Es ist der (wie ich finde) überaus faszinierende Bericht Anne Gringolds über ihr Leben bei den Goddards. Sie war, wie Sie feststellen werden, außerdem der letzte Mensch, der Gabrielle noch bei vollem Bewußtsein erlebte – vor deren Herzschlag oder was immer es war.
Wie der Bericht in meine Hände gelangte, werde ich Ihnen bei unserem nächsten Treffen
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