Verschwörung im Zeughaus
Unwillig rieb sich Mira mit dem Handrücken über die Nase. «Sie ist meine Familie, Hauptmann Greverode, deshalb seid Ihr es leider auch. Also lebt Ihr gefälligst weiter, auch wenn es mir lieber wäre, Ihr würdet es weit entfernt von uns tun.»
Mira starrte in sein regloses Gesicht und spürte dem Zorn nach, der in ihrem Inneren brodelte. Zorn nicht so sehr auf ihn, sondern auf sich selbst. Sie hatte wirklich alles getan, um ihn gegen sich aufzubringen, um ihn von sich fernzuhalten – und umgekehrt. Schlimme Dinge, die ihr die Schamesröte auf die Wangen trieben, wenn auch nur der Hauch der Erinnerung sie streifte. Und jetzt lag er hier, war dem Tode näher als dem Leben, und sie fragte sich – nicht zum ersten Mal, jedoch diesmal umso verzweifelter –, wie sie nur so dumm hatte sein können.
«Griet, kümmere dich bitte um die Kräuter, die Eva und Hilka vorhin gebracht haben», wies Adelina ihre Stieftochter an. «Es hat geregnet, also müssen sie besonders sorgfältig auf faule Stellen überprüft werden, bevor du sie zum Trocknen aufhängst. Mira, du bereitest einen neuen Vorrat an Hustenarznei zu. Bei diesem Wetter werden die Leute … Mira?» Adelina fasste ihre Gesellin, die mit abwesendem Blick am Tresen lehnte und mechanisch mit einem Lappen immer über dieselbe Stelle wischte, an der Schulter. «Geht es dir gut, Mädchen?»
«Was? Wie bitte?» Mira zuckte zusammen und richtete den Blick auf ihre Meisterin. «Oh, Verzeihung. Ich habe nur …»
«Geträumt?» Adelina musterte sie eingehend. «Du siehst müde aus. Ich habe ja gleich gesagt, dass du nicht die ganze Nacht unten …» Sie brach ab, als das Glöckchen an der Eingangstür einen Kunden ankündigte. «Die Hustenarznei», wiederholte sie eindringlich und wandte sich dem Gewaltrichter zu, der, heute ohne Gehstock, die Apotheke betreten hatte. «Guten Morgen, Herr Reese! Wie ich sehe, seid Ihr heute gut zu Fuß.»
«Dank Eurer Medizin, liebe Frau Adelina.» Er nickte ihr wohlwollend zu, verzog dann jedoch leicht gequält die Lippen. «So schwer es mir auch fällt, es zugeben zu müssen, aber es hat wohl auch geholfen, dass mein Weib mir seit gestern zu allen Mahlzeiten nur noch Hasenfutter und Grütze vorsetzt.»
Adelina lächelte ihn an. «Es ist zu Eurem Besten, Herr Reese.»
«Jaja.» Er winkte ab. «Man sagte mir, Ihr habt versucht, mich im Rathaus und sogar bei mir zu Hause zu erreichen? Ich war in Geschäften unterwegs, deshalb erfuhr ich eben erst davon.» Er blickte von ihr zu Mira. «Stimmt etwas mit dem Mädchen nicht? Sie ist so blass.»
Alarmiert wandte sich Adelina ihrer Gesellin zu, die wie zuvor am Tresen lehnte, nun jedoch, ohne recht hinzusehen, mit einem Kräutersäckchen hantierte.
«Mira!» Unsanft stieß sie sie mit dem Ellenbogen in die Seite. «Jetzt ist aber Schluss. Geh sofort in deine Kammer und schlaf dich aus!»
Mira erschrak sichtlich und hätte die Kräuter beinahe zu Boden gefegt. «Ja, Meisterin. Das heißt, nein, ich kann doch nicht einfach mitten am Tag schlafen.»
«Ich sage es kein weiteres Mal, Mira. Verschwinde in dein Bett!» Erbost funkelte Adelina das Mädchen an.
Mira nickte hastig. «Also gut. Verzeihung, ich …»
«Nun geh endlich.» Etwas freundlicher schob Adelina sie in Richtung der Tür, die zum Hinterzimmer führte. Dann drehte sie sich wieder zu Reese um. «Entschuldigt bitte, aber Mira war die ganze Nacht auf.» Erschrocken hielt sie inne. Der Gewaltrichter durfte nichts von Tilmanns Anwesenheit im Haus wissen. Vorläufig zumindest nicht.
«Die ganze Nacht?» Reese trat mit erstaunter Miene näher. «Warum das? Ist jemand krank?»
«Nein, nein», wehrte Adelina rasch ab und überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. «Meine, äh, Tochter hat uns wachgehalten.» Das war zumindest teilweise richtig, denn Katharina war in der vergangenen Nacht dreimal weinend aufgewacht und hatte erst zu einem ruhigen Schlaf gefunden, nachdem Griet sie zu sich in ihr Bett holte.
«Und Eure Gesellin hat sich um die Kleine gekümmert?» Reese wirkte noch verwunderter.
«Ja, sie hilft uns sehr gern mit den Kindern.» Adelina spürte, wie eine verräterische Wärme in ihre Wangen stieg. Zu lügen war ganz und gar nicht ihre Art. Rasch wechselte sie das Thema. «Weshalb ich Euch sprechen wollte …»
«Ach ja.» Reese nickte ihr sogleich interessiert zu. «Habt Ihr Kunde von Eurem Bruder? Einen Anhaltspunkt vielleicht, wo er sich aufhält?»
«Ah … Nein, es geht um etwas anderes.» Um ihre
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