Verschwörung im Zeughaus
Ich fürchte, ich muss ein ernstes Wörtchen mit ihr reden», stellte Adelina seufzend fest.
Nun konnte Neklas sich das Lachen nicht länger verkneifen. «Soll sie sich vielleicht an dir ein Beispiel nehmen?»
«Das würde bestimmt nicht schaden.»
Neklas prustete. «Mein Schatz, könnte es nicht vielleicht sein, dass Mira genau das tut – und zwar seit Jahren?» Ohne auf ihre Reaktion zu warten, verließ er die Küche. Sein erheitertes Lachen war erst nicht mehr zu hören, als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel.
Mira warf einen Blick auf die Stundenkerze und unterdrückte ein Gähnen. Es war weit nach Mitternacht, eigentlich hätte sie längst nach Franziska oder Ludowig rufen sollen. Doch weshalb das Gesinde wecken, wenn sie genauso gut bei dem Hauptmann wachen konnte? Er fieberte noch immer; in der vergangenen Stunde schien es schlimmer geworden zu sein. Aufgewacht war er seit dem Umzug in das Kellergelass allerdings nicht mehr.
Vorsichtig nahm sie das feuchte Tuch von seiner Stirn, tauchte es in den Wassereimer, der neben der Matratze stand, und wrang es aus. Dann tupfte sie ihm leicht über das Gesicht und den Hals, bevor sie ihm den Lappen erneut auf die Stirn legte. Nachdenklich betrachtete sie Greverodes kantiges Gesicht, die hohen Wangenknochen, das markante Kinn, auf dem sich zunehmend dunkle Bartstoppeln abzeichneten. Sein langes, schwarzes Haar, das er normalerweise mit einem Lederriemen im Nacken zusammennahm, klebte in feuchten Strähnen an seinem Kopf. So, wie er hier vor ihr lag, wirkte er noch immer sehr beeindruckend, jedoch weit weniger gefährlich als sonst. Fast wünschte sie, er würde die Augen aufschlagen und sie mit dem typischen spöttischen Blick aus seinen dunkelblauen Augen anschauen. Sie seufzte. Nein, ein einziges Mal wollte sie einen freundlichen Ausdruck in seinem Gesicht sehen, wenn er ihrer ansichtig wurde.
Der Magister hatte recht, sie provozierte den Hauptmann mit voller Absicht. Anfangs hatte sie es getan, um ihn von dem Wunsch abzubringen, sie zur Frau zu nehmen, wie es ihr Stiefvater gewollt hatte. Tilmann Greverode war immer ein Mann gewesen, vor dem sie sich fürchtete, vor allem nach den Dingen, die zwischen ihm und ihrer Meisterin vorgefallen waren. Er war hart, unnahbar und scheute sich auch nicht, die Ordnung unter seinen Männern mit Gewalt durchzusetzen. Zwar hatte sie ihn nie jemanden vorsätzlich aus niederen Beweggründen verletzen sehen, das musste sie zugeben. Doch allein seine finstere Ausstrahlung und die Unfreundlichkeit, mit der er jedermann gegenübertrat, reichten aus, um ihre tiefe Abneigung gegen ihn zu rechtfertigen. Wie entsetzlich war dann der Schreck gewesen, als sie vor drei Jahren erfuhr, dass er Adelinas Bruder war! Ein furchterregender Mann wie er konnte doch nicht Teil der ihr so lieb gewordenen Familie Burka sein. Dass er in einer schrecklichen Zeit loyal zu seiner Schwester gehalten und sie schließlich sogar aus höchster Not gerettet hatte, warf dann ein neues Licht auf ihn. Zumindest konnte Mira seither anerkennen, dass er nicht der gemeine, selbstgerechte Mistkerl war, für den sie ihn bis dahin immer gehalten hatte. Ihre Abneigung jedoch blieb – oder vielmehr ihr Wunsch, ihm bloß niemals zu nahezukommen. Sie fürchtete sich noch immer vor ihm, wenn auch inzwischen aus anderen Gründen als damals. Natürlich hätte sie das ihm gegenüber niemals zugegeben. Eine solche Schwäche kam einer Mira von Raderberg nicht zu. Lieber ärgerte sie ihn weiterhin, sodass er einen weiten Bogen um sie machte. Wenn sie seinen Widerwillen und seine Abneigung gegen sie schürte, war sie vor ihm sicher.
Als ein leises Stöhnen über seine Lippen kam, zuckte Mira zusammen. Prüfend beugte sie sich über ihn, beobachtete sein Gesicht. Die Augenlider zuckten leicht, Schweiß rann unter dem Tuch hervor. Rasch tauchte sie es erneut ins Wasser und betupfte seine Stirn.
«Kommt schon, Hauptmann Greverode», flüsterte sie. «Wacht aus dieser vermaledeiten Ohnmacht auf.» Ihre Stimme zitterte leicht, was sie maßlos ärgerte. Wütend schob sie das Kinn vor. «Wagt es ja nicht zu sterben! Habt Ihr gehört? Das könnt Ihr der Meisterin nicht antun. Ich weiß nicht warum, aber sie hat Euch in ihr Herz geschlossen. Sie hat Euch sogar verziehen, dass Ihr sie früher so gemein behandelt habt. Es ist mir unbegreiflich, dass eine Frau jemanden wie Euch lieben kann, aber Adelina ist Eure Schwester, und deshalb kann man es zumindest ihr wohl nachsehen.»
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