Verschwörung im Zeughaus
weil ihr beide Konkurrenten um das Amt des Stimmeisters seid.»
«Das ist vollkommen lächerlich!»
«Natürlich ist es das!», fauchte Adelina. «Aber solange es keine Gegenbeweise gibt, bist du für den Vogt der Hauptverdächtige. In dem Moment, in dem er dich hier findet, bringt er dich zum Turm. Und du kannst sicher sein, dass er dich dort nicht einfach verrotten lässt. Du weißt selbst, welche Strafe auf Mord steht. Er wird alles dafür tun, dich gesundzupflegen, um dich dann auf dem Neumarkt hinrichten zu lassen.»
«Dazu muss er erst einmal Beweise finden», widersprach Tilmann.
«Die glaubt er doch schon längst zu haben! Dein Dolch wurde neben Clais’ Leiche gefunden. Das reicht ihm, um das halbe Heer der Stadtsoldaten auf die Suche nach dir zu schicken.»
«Mein Dolch?»
Adelina nickte bitter. «Mit dem Blut des Toten daran.»
«Das ist vollkommen unmöglich. Mein Blut ist es, das daran klebt, und das dieses Fremden. Aber Clais habe ich an jenem Abend nicht zu Gesicht bekommen. Wenn er dort war, dann war er entweder schon tot und irgendwo verborgen, oder er kam erst nach mir.»
«Vielleicht wäre es gut, wenn du das dem Vogt selbst erklären würdest.» Adelina rieb sich über die Stirn. «Du bist Hauptmann der Stadtsoldaten, Tilmann. Vielleicht schenkt er dir Gehör, wenn du ihm darlegst, was du mir gerade erzählt hast. Es muss doch Spuren des Kampfes gegeben haben, und eine Leiche kann sich nicht einfach in Luft auflösen. Er muss das einsehen!»
«Glaubst du das wirklich?», fragte Tilmann spöttisch. «Abgesehen davon darf ich jetzt nicht mit ihm sprechen. Ich muss mich erst einmal weiter verborgen halten.»
«Warum?»
«Sosehr mich dies ebenfalls interessieren würde», mischte sich die raue Stimme von Ludmilla in ihr Gespräch ein, «so fürchte ich doch, ich muss euch beide nun unterbrechen.»
Adelina und Tilmann blickten überrascht auf die weise Frau, die auf leisen Sohlen durch den geheimen Gang aus der Unterwelt hereingekommen war. Am Arm trug sie einen großen, mit einem Tuch abgedeckten Korb, der vermutlich neue Medizin enthielt. Sie stellte ihre Last in einer Ecke des Raumes ab, dann trat sie an das Krankenlager und befühlte die Stirn des Hauptmanns.
«Hmm.» Sie nickte vor sich hin. «Das Fieber ist gesunken. Aber, meine Liebe …» Sie wandte sich mit tadelndem Blick an Adelina. «Was denkst du dir dabei, unseren Patienten derart zu quälen? Siehst du nicht, wie blass er ist? Ich kann ja verstehen, dass du so bald wie möglich Antworten auf deine Fragen haben willst, aber nun ist erst einmal Schluss. Außerdem habe ich schon von weitem gehört, dass ihr gestritten habt. Es ist mir unbegreiflich, wie zwei Menschen, die sich so ähnlich sind wie ihr zwei, sich ständig in den Haaren liegen müssen. Mag sein, dass die Aufregung die Lebensgeister des Hauptmanns ein wenig geweckt hat, doch nun sollte er für eine Weile ruhen.»
«So ein Unfug! Mir geht es ausgezeichnet.»
«Aber er muss mir unbedingt noch sagen, warum –»
«Nichts da!» Ludmilla stieß ihr typisches krächzendes Lachen aus. Rigoros umfasste sie Adelinas Oberarme und schob sie in Richtung der Stiege. «In ein paar Stunden kannst du wieder herunterkommen. Und Ihr, Hauptmann» – sie drehte ihren Kopf in Tilmanns Richtung – «schließt die Augen und ruht ein bisschen. Danach dürft Ihr ein wenig Hirsebrei zu Euch nehmen.»
Ohne weiter auf Adelinas Protest zu achten, brachte Ludmilla sie schließlich dazu, das Versteck zu verlassen.
Als Adelina wieder in ihrem Laboratorium stand, wusste sie nicht recht, ob sie sich freuen sollte, dass es Tilmann besserging, oder sich vielmehr ärgern müsste, weil Ludmilla einfach das Kommando über die Krankenpflege übernommen hatte. Natürlich vertraute sie dem Urteil der Freundin. Viel dringlicher jedoch war es, endlich einige Antworten zu erhalten. Es war ihr nicht so vorgekommen, als habe sie Tilmann überanstrengt. Vielleicht, überlegte sie, war es jedoch ganz gut, wenn sie erst am Nachmittag wieder hinunterging. Bis dahin waren Jupp und Marie und vermutlich auch Neklas da, sodass Tilmann seine Geschichte nur einmal zu erzählen brauchte.
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9. KAPITEL
K aum hatte Adelina die Tür zur Kellertreppe geschlossen, als Griet auf sie zu geeilt kam.
«Mutter, komm bitte mit in die Apotheke. Jemand möchte dich sprechen. Es ist Christine van Dalen.»
«Clais’ Witwe?» Überrascht sah Adelina ihre Stieftochter an. Sie hatte schon in Erwägung
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