Verschwörung im Zeughaus
dem Weg räumen wollte. Doch was hatte das Ganze mit dieser Landkarte zu tun? Ein Gefühl sagte ihr, dass dahinter mehr steckte, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Wenn sie nur wüsste, was die Namenskürzel zu bedeuten hatten, die ihr Bruder auf der Karte verteilt hatte – vermutlich würde sie das der Lösung des Rätsels um einiges näher bringen.
Adelina war derart in Gedanken versunken, dass sie Tilmanns leises Stöhnen beinahe nicht wahrgenommen hätte. Erst als er sich leicht bewegte und hustete, wurde sie aufmerksam.
«Tilmann?» Sie beugte sich über ihn und berührte ihn leicht an der Schulter. «Tilmann, bist du wach?»
Wieder stöhnte er leise, und seine Augenlider flatterten.
«Wach auf, Tilmann! Ich finde, du hast jetzt lange genug geschlafen. Es wird Zeit, dass du uns ein paar Erklärungen lieferst.» Ihre Stimme klang ruppiger, als sie es vorgehabt hatte. Aus Angst um ihn, das wusste sie genau. Wenn sie um jemanden besorgt war, schlug dieses Gefühl immer sehr leicht in Zorn um. Sie war nun einmal nicht die sanftmütigste Person auf Gottes weiter Welt. Wie oft schon hatte Neklas sie nicht nur stur, sondern auch spitzzüngig und zuweilen sogar zynisch genannt! Vor allem zu Beginn ihrer Bekanntschaft und im ersten Jahr ihrer Ehe waren sie oft aneinandergeraten. Adelina konnte nur schwer mit ihrer Meinung hinterm Berg halten. Da sie sich von Kindesbeinen an um ihren Vater, um Vitus, den Haushalt und immer mehr auch um die Apotheke hatte kümmern müssen, war ihr Leben alles andere als einfach gewesen. Früh hatte sie gelernt, sich zu behaupten, auch wenn das den Männern in ihrem Umfeld nicht immer gepasst hatte. Doch wie anders hätte sie sich verhalten sollen? Sie war, wer sie war – dazu gehörte auch, dass sie ihr aufbrausendes Temperament nicht immer zügeln konnte. Von ihrer Neugier ganz zu schweigen.
Neklas hatte das begriffen. Er nahm sie, wie sie war, liebte sie mit all ihren Fehlern, sowie sie umgekehrt auch ihm ihr Herz geschenkt hatte, obwohl er selbst einige dunkle Flecken in seiner Vergangenheit aufzuweisen hatte. Doch insgesamt war er wesentlich ruhigeren Gemüts. In gewisser Weise glichen sie einander aus. Adelina war froh, ihn an ihrer Seite zu wissen.
Tilmann hatte sich beruhigt. Adelina glaubte schon, er sei wieder eingeschlafen. Dann hustete er jedoch noch einmal, rollte den Kopf von einer Seite auf die andere und hob schließlich mit sichtlicher Anstrengung die Augenlider. Er blinzelte ein paar Mal, denn heute war es in dem kleinen Kellergelass heller als am Vortag. Adelina hatte nicht nur eine Öllampe aus der Küche mit herabgebracht, sondern auch zwei brennende Kienspäne in den Ringen an der Wand neben der Stiege befestigt. Das Licht schien ihn zu blenden. Sie berührte ihn leicht an der Schulter.
«Guten Morgen, Tilmann», sagte sie in dem kühlen Ton, den sie meistens anschlug, wenn sie sich mit ihm unterhielt. «Hast du endlich ausgeschlafen?»
Er räusperte sich. Sogleich griff sie nach dem Holzbecher, füllte ihn mit Wasser und hielt ihn ihm an die Lippen. Sie legte ihm die Hand in den Nacken, um ihm zu helfen, den Kopf zu heben. Zwar verdrehte er genervt die Augen, trank jedoch dankbar. Danach sah er sie für einen langen Moment nur schweigend an.
Adelina ließ sich auf den Hocker sinken, der nach wie vor neben der Matratze stand.
«Wie geht es dir?», fragte sie. «Kannst du dich erinnern, was geschehen ist?»
«Ich liege auf einer Strohschütte in einem geheimen Kellerverlies in der Unterwelt. Jemand hat versucht, meine Gedärme zu durchlöchern, sodass sie fast nur noch für die Kotzbank auf dem Markt taugen, und die letzte Nacht durfte ich mit einem grässlichen alten Weib verbringen. Was glaubst du, wie es mir geht?» Obgleich seine Stimme noch schwach und ziemlich kratzig klang, war der spöttische Unterton, den sie nur allzu gut von ihm kannte und der – ganz ähnlich wie bei ihr – an Zynismus grenzte, deutlich herauszuhören.
Adelina atmete auf. Es schien ihm tatsächlich besserzugehen. Die Erleichterung trieb ihr ein Lächeln auf die Lippen, ehe sie es sich verkneifen konnte.
«Nach einem sicheren Versteck hast du bei deiner Ankunft selbst verlangt», erwiderte sie und bemühte sich dabei, sich seinem Tonfall anzupassen. «Wer für deine schweren Verletzungen verantwortlich ist, weiß ich nicht, aber ich hoffe, dass du uns diese Frage nun endlich beantworten kannst. Was die alte Ludmilla betrifft – wenn sie nicht gewesen wäre,
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