Verschwörung im Zeughaus
gezogen, mit Christine van Dalen zu sprechen, war sich jedoch nicht sicher gewesen, ob das so kurz nach der Beerdigung bereits angebracht war. Sie wusste selbst, wie schwer der Verlust eines Familienmitglieds wiegen konnte, hatte sie doch vor einigen Jahren durch einen schlimmen Unfall ihren Vater verloren. Wie schwer musste es sein, den Ehemann zu verlieren? Dass Christine van Dalen von sich aus hergekommen war, empfand Adelina nun als Glücksfall.
Sie atmete tief durch, bevor sie die Apotheke betrat, und ging dann mit einem herzlichen Lächeln auf die in ein dunkelgrünes Brokatkleid und eine passende Haube gekleidete Frau zu. Christine van Dalen war eine kleine Frau, nur wenige Jahre älter als Adelina, mit üppigen Rundungen und dunkelbraunem Haar sowie ebensolchen Augen. Sie hielt sich sehr aufrecht, an ihren Gesichtszügen war weder Leid noch Trauer abzulesen – im Gegenteil: Sie lächelte ebenfalls.
«Guten Tag, Frau Adelina. Was bin ich froh, dass ich Euch antreffe! Ich hatte schon früher herkommen wollen, jedoch einfach nicht die Zeit gefunden. Ihr versteht sicher, die Beerdigung, Trauerfeierlichkeiten, all das hat mich in den letzten Tagen sehr beschäftigt. Natürlich musste ich mich auch um die Kinder kümmern. Meine beiden ältesten Söhne, Theodor und Jakob, sind mir eine große Stütze, aber sie sind ja auch schon fast erwachsen. Die Mädchen hingegen und der kleine Peter sind nach wie vor untröstlich. Gottlob habe ich eine Kinderfrau, die jetzt nach den dreien sehen kann.» Sie blickte sich neugierig in der Apotheke um. «Ich bewundere Euch, Frau Adelina. Ihr beschäftigt weder Amme noch Kinderfrau, nicht wahr? Aber Eure Mägde helfen Euch doch mit den Kindern?»
«Ja, so ist es.» Adelina nickte. «Euer Verlust schmerzt mich sehr, Frau Christine. Möchtet Ihr mir sagen, was genau Euch zu mir führt?»
«Vermutlich könnt Ihr es Euch schon denken.» Christine hielt inne und warf Griet und Mira einen fragenden Blick zu.
Adelina glaubte, ihr Zögern zu verstehen. «Keine Sorge, Frau Christine. Ihr könnt ganz offen sprechen, die Mädchen werden darüber schweigen. Aber wenn Ihr möchtet, können wir auch gern in die Küche gehen. Dort ist es warm, und wir sind ungestört.»
«Ich denke, das ist eine gute Idee», stimmte Christine zu.
Adelina führte ihre Besucherin in die Küche. Sogleich brachte Magda ihnen einen Krug frisch angewärmten Würzwein und zwei Zinnbecher. Danach zog sie sich auf Adelinas Wink hin zurück.
Die beiden Frauen setzten sich einander gegenüber an den großen Küchentisch, beide falteten die Hände vor sich.
«Nun sagt mir, was Euch zu mir führt.»
Christine van Dalen richtete sich ein wenig auf und straffte die Schultern. «Wie ich schon erwähnte, vermutlich könnt Ihr es Euch denken. Ich habe gehört, genauer gesagt hat mir der Gewaltrichter Georg Reese erzählt, dass Ihr Nachforschungen anstellt. Er sagte, Ihr habet ihm in der Vergangenheit bereits einige Male geholfen, Morde aufzuklären. Wie Ihr dazu kommt, ist mir zwar vollkommen schleierhaft, aber sei’s drum. Mein Mann wurde erstochen, angeblich von Tilmann Greverode. Tilmann ist unser Freund, vielmehr war er der meines Gemahls. Die beiden haben viel Zeit miteinander verbracht – verständlich, denn sie waren beide Hauptmänner der Stadtsoldaten. Aber auch außerhalb ihres Dienstes haben sie sich gut verstanden. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass Greverode Clais getötet haben soll. Ist es wahr, dass man seinen Dolch bei der Leiche entdeckt hat?»
«Ja, das ist richtig», bestätigte Adelina. «Aber auch ich glaube keinen Augenblick, dass mein Bruder ein Mörder ist.»
«Wisst Ihr, wo er sich versteckt hält?» Neugierig musterte Christine sie. «Ich dachte schon, dass er vielleicht bei Euch Unterschlupf gesucht hat. Doch der Gewaltrichter meinte, das sei nicht der Fall.»
«Da hat er recht. Ich kann Euch nicht sagen, wo sich mein Bruder aufhält. Aber so, wie die Dinge stehen, bin ich fast froh, dass er sich versteckt.» Auf Christines überraschten Blick hin erklärte Adelina: «Der Vogt scheint überzeugt zu sein, dass Tilmann der Mörder ist. Sobald seine Männer ihn aufgreifen, wird er in den Turm gesperrt. Zwar gibt es keine Zeugen für die Tat, aber ich fürchte, der Vogt wird dennoch auf einem Prozess bestehen. Solange sich mein Bruder versteckt hält, haben wir zumindest die Möglichkeit, uns umzuhören. Wenn er es nicht war, der Euren Gemahl getötet hat, dann läuft der wahre Mörder
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