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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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innen auf? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Trotzdem zog sie an der Tür – vorsichtig, weil diese Bewegung noch mehr schmerzte und ihre Beine allmählich nachzugeben drohten. Wieder vergeblich. Wieso klemmte diese verfluchte Tür ausgerechnet jetzt?
    Anne zog und rüttelte so heftig, wie sie konnte, doch sie gab nicht nach. Und dann kam ihr ein Gedanke, der so furchtbar war, dass ihr Herz für einen Moment stehen blieb. Sie war in ihrem Zimmer eingeschlossen. Irgendjemand, der nicht wollte, dass sie zu Giuliano ging und ihn warnte, hatte sie eingesperrt.
    Anne vergaß ihre Verletzung, sie vergaß ihre Schwäche, sie hämmerte gegen die Tür, sie trat gegen das Holz, warf sich dagegen und schrie aus Leibeskräften: »Hallo! Hilfe! Zu Hilfe! Lasst mich raus! Lasst mich raus!«
    Niemand schien sie zu hören. War sie denn die Einzige hier im Haus, die schon wach war? Plötzlich wurde es heller im Zimmer, als hätten bislang dunkle Wolken die Sonne verdeckt, und im selben Augenblick schlug die Glocke von Santa Maria del Fiore. Unwillkürlich zählte Anne die Glockenschläge.
    Eins … zwei … drei … Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Fünf … sechs … sieben … Sie keuchte. Neun … Stille. Neun Mal hatte die Glocke geschlagen. Anne schwanden die Sinne. Es war neun Uhr! Kein Wunder, dass niemand sie hörte. Wahrscheinlich waren alle anderen einschließlich der Dienstboten zur Messe gegangen. Und Giuliano war genau dort, wo er heute nicht sein durfte – im Dom. Gerade in diesem Augenblick würde er vermutlich die Kirche betreten, und dann …
    Mit aller Kraft hämmerte Anne gegen die Tür. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät; vielleicht, wenn sie lief, wenn sie sich beeilte, würde sie ihn noch erreichen können; vielleicht konnte sie in den Dom gehen und ihn warnen; vielleicht … Sie schlug so lange auf das Holz ein, bis ihre Fäuste zu bluten begannen. Sie warf sich gegen die Tür. Sie fühlte keinen Schmerz mehr, ihr Brustkorb war mittlerweile taub. Sie schrie, sie tobte, doch niemand hörte sie. Schließlich verließen sie die Kräfte. Halb ohnmächtig und schluchzend sank sie zu Boden, als die Glocke von Santa Maria del Fiore erneut läutete – es war das Läuten zur Wandlung. In wenigen Minuten würde die versammelte Gemeinde sich erheben und zum Altar treten, um dort den Leib Christi zu empfangen. Dann würde es passieren. Giuliano würde ermordet werden. Und sie konnte nichts mehr daran ändern, gar nichts. Es war zu spät. Es war vorbei. Alles war vorbei.
    Als Anne wieder zu sich kam, lag sie im Bett. Eine weiße Decke war sorgsam über sie gebreitet, und ihr Brustkorb fühlte sich an, als hätte ihn jemand in ein viel zu enges Korsett gezwängt. Sie hörte das Plätschern von Wasser, als wenn sich jemand die Hände wäscht. Vermutlich der Arzt, der gekommen war, um ihr einen neuen Verband anzulegen. Doch er war nicht der Einzige im Raum. Anne erkannte Lorenzo, der leise mit dem Arzt sprach, Matilda, die im Hintergrund stand und sich mit ihrer Schürze immer wieder über die Augen wischte. Clarice stand am Fußende ihres Bettes und war sichtlich um Haltung bemüht, doch ihre Hände umklammerten die Bettpfosten, als würde sie fürchten zu ertrinken. Und ganz hinten in der Ecke stand Ludmilla mit gesenktem Kopf. Auch sie schien zu weinen.
    Lorenzo brachte den Arzt zur Tür und trat dann zu Anne zurück ans Bett. Sie sah ihm in die rot geweinten Augen. Sein Gesicht, das normalerweise so entschlossen und kraftvoll war, wirkte eingefallen und hatte eine ungesunde graue Hautfarbe. Auf seinen Wangen schimmerte Feuchtigkeit.
    »Es ist passiert, nicht wahr?«, fragte Anne, ohne den Blick von Lorenzo zu wenden. Sie wunderte sich selbst, wie klar und deutlich ihre Stimme klang, fast emotionslos. Im Hintergrund begann jemand zu schluchzen. »Es ist geschehen. Giuliano ist tot.«
    Lorenzo sah im ersten Moment aus, als wollte er den Kopf schütteln. Vielleicht wollte er lügen, um sie zu schonen. Doch dann begann seine Unterlippe zu zittern. Er kniff die Augen zusammen, als wollte er versuchen die Tränen zurückzuhalten. Schließlich nickte er und begann zu weinen.
    »Ich habe es gewusst«, sagte Anne, und ihre Stimme klang immer noch geradezu erschreckend klar und deutlich. »Ich habe gewusst, dass das geschehen würde. Ich habe es euch erzählt. Erinnerst du dich, Lorenzo? Warum habt ihr mir nicht geglaubt? Warum?« Ihre Stimme wurde schriller, und sie begann zu schreien. Sie schrie wie eine wütende

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