Verschwörung in Florenz
am liebsten hätte sie sich jetzt einfach auf das Bett gelegt und sich ausgeruht, geschlafen, wenn auch nur für ein paar Minuten. Doch sie konnte nicht zulassen, dass sie das Kind jetzt bekam und es diesem Wahnsinnigen in die Hände fiel. Mühsam schlurfte sie voran, an Giacomo vorbei, der ihr mit einem seltsamen Lächeln aus dem Weg trat. Und bereits nach ein paar Schritten wusste sie, warum er sie scheinbar gehen ließ.
Der Schmerz überfiel sie erneut, diesmal noch heftiger als zuvor. Wieder ging sie in die Knie, am ganzen Körper zitternd. Es war klar, dass Giacomo dafür gesorgt hatte, dass die Wehen jetzt einsetzten. Er musste etwas in den Wein gemischt haben, ein Gift. Ob es dasselbe Gift war, mit dem er auch Giovanna umgebracht hatte? Sie warf einen Blick zur Tür. Sie war nicht weit entfernt, nur wenige Meter. Wenn sie es bis dahin schaffte, wenn sie es schaffte, die Tür zu öffnen, dann konnte sie hinauslaufen, die Treppe hinunter zur Eingangstür gehen … Und dort würde sie ohne Frage an der sorgfältig verrammelten Tür scheitern. Sie war eingesperrt. Hatte Donna Lucia sie deshalb hierher gelockt? Steckte die Alte mit ihrem Sohn unter einer Decke? Doch weshalb fürchtete sie sich dann so vor ihm? Weshalb hatte sie so verzweifelt darauf bestanden, dass Anne das Tagebuch las?
Anne kroch auf allen vieren voran. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, sie keuchte vor Anstrengung. Irgendjemand hatte ihr mal erzählt, dass das mit den Wehen lange dauerte, Stunden, unter Umständen sogar länger als einen Tag. Besonders beim ersten Kind konnte sich die Geburt lange hinziehen. Bei ihr würde es offenbar anders verlaufen. Wahrscheinlich sorgte Giacomos Gift dafür, dass alles sehr viel schneller ging. Die nächste Wehe kam, und Anne schlug der Länge nach zu Boden. Sie krümmte sich, sie schrie. Und dann war es plötzlich, als würde eine riesige Zange ihren Bauch zusammenpressen. Ihr wurde übel.
Presswehen!, schoss es ihr durch den Kopf. Das mussten die Presswehen sein. Aber warum kamen sie denn jetzt schon, das war doch noch … Eine weitere Wehe drückte auf ihren Bauch, als versuchte ein Riese mit aller Gewalt das Baby aus ihrem Leib herauszudrücken. Anne drehte sich auf den Rücken und zog die Beine an. Sie wusste nicht, ob es so richtig war, aber sie hatte es mal im Fernsehen gesehen.
»Es ist so weit«, hörte sie wie aus der Ferne Giacomos freundliche, gütige Stimme. »Komm, Mutter, mach dich nützlich.«
Sie spürte Hände, kalte knochige Hände, die, wie es schien, sinnlos an ihr herumhantierten, ihre Kleider hochstreiften, während sie vor Schmerz schrie. Zu dem Schmerz gesellte sich noch Angst. Gar nicht mal die Angst vor Giacomo, jetzt hatte sie hauptsächlich Angst vor dem, was geschehen würde, vor der Geburt. Sie hatte keine Erfahrung darin, Babys zu bekommen. Und weit und breit war niemand anwesend, der sich damit auskannte, kein Arzt, keine Schwester, keine Hebamme. Es gab hier keine schmerzstillenden Medikamente, keine sauberen Tücher, nicht einmal heißes Wasser. Hier waren nur sie selbst, eine vor Angst halb verrückte Achtzigjährige und ein Wahnsinniger, der offenbar mehr Leben auf dem Gewissen hatte als Jack the Ripper. Wie sollte das bloß gutgehen? Zusammenhanglose Worte schossen durch ihren Kopf – Steißgeburt, Sauerstoffmangel, Beckenendlage, Symphysen-Sprengung –, und dann überrollte sie eine weitere Wehe. Diesmal war sie so stark, dass sie keine Luft mehr bekam und alle Gedanken ausgelöscht wurden. Sie konnte nur noch keuchen.
»Es kommt!« Giacomos Stimme vibrierte vor freudiger Erregung. Ob auch Donna Lucia etwas sagte, konnte Anne nicht hören. Die nächste Wehe kam, und sie schrie wieder so laut sie konnte. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Gerade glaubte Anne, dass die Wehe sie einfach auseinander reißen würde, dass sie jetzt sterben musste, als sich plötzlich alles entspannte. Das Nächste, was sie vernahm, war ein zuerst zaghaftes und dann immer lauteres Schreien. Das Schreien eines Babys.
»Es ist ein Junge!«, hörte Anne Giacomo sagen.
Sie versuchte sich aufzurichten, wollte ihn sehen, ihren Sohn. Sie wollte ihn in ihren Armen halten, ihn streicheln. Doch Giacomo hatte das Baby bereits in Tücher gewickelt. Und ohne auf sie zu achten, ging er davon, verließ das Zimmer durch die Wand, aus der er gekommen war. Wie ein Geist.
»Halt! Gib mir meinen Sohn! Ich will meinen Sohn!«, schrie Anne voller Verzweiflung. Sie versuchte
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