Verschwörung in Florenz
aufzustehen, um hinter Giacomo herzulaufen und ihm ihr Kind zu entreißen. Doch sie hatte sich kaum halb erhoben, mit vor Anstrengung heftig zitternden Armen, als sie wieder eine Wehe bekam. Was war das denn noch? Weshalb hatte sie noch immer Wehen? Bekam sie etwa Zwillinge? Weinend vor Schmerz und Verzweiflung sank sie zu Boden. Hilflos musste sie mit ansehen, wie sich die Geheimtür mit einem leisen »Klack« hinter Giacomo schloss. Er war weg. Und er hatte ihr Kind mitgenommen, ihr Baby, ihren Sohn. Einfach so. Als hätte er das Recht dazu. Wieder kam eine Wehe, diesmal schon sehr viel schwächer. Etwas floss aus ihr heraus. Sie hörte Donna Lucias zittrige Stimme, die ein Lied anstimmte. Es war ein seltsames Lied mit einem unzusammenhängenden Text und einer schrägen Melodie, immer wieder unterbrochen vom wahnsinnigen Kichern der Alten. Und dann sah Anne Donna Lucia tanzen. Die alte Frau drehte sich im Kreis, hob ihre blutbeschmierten Hände in die Höhe und tanzte zu ihren eigenen Liedern. Der Anblick war so bizarr, dass Anne bald nicht mehr wusste, ob sie träumte, ob sie wach war oder ob sie vielleicht diejenige war, deren Verstand allmählich in den Abgründen des Wahnsinns versank. Sie fühlte sich schwach, sie war müde. Das Haar klebte an ihrer schweißnassen Stirn. Sie wollte schlafen. Und doch ließ sie der Gedanke an ihren Sohn nicht los, an ihr kleines hilfloses Kind, das Giacomo einfach entführt hatte. Das Kind, das sie nicht einmal im Arm hatte halten dürfen.
Anne begann wieder zu weinen. Und durch ihr Weinen und Schluchzen, durch den grotesken Gesang der Alten hindurch hörte sie ein Klopfen an der Tür, ein heftiges Hämmern und eine Stimme, die immer wieder rief: »Signorina, Signorina, seid Ihr da? Signorina, so antwortet doch!«
War es Lorenzos Stimme? Anne drehte den Kopf, und sie sah, wie die verriegelte Tür unter den Schlägen in ihren Angeln erzitterte. Offenbar warf sich auf der anderen Seite jemand dagegen. Sie hörte Befehle, das Geräusch von Möbelstücken, die über den Boden gezogen und aufgehoben wurden. Ein ohrenbetäubender Knall folgte. Und unter dem kreischenden Gekicher der Alten, die mittlerweile von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt war, zersplitterte die Tür.
Endlich, es kommt jemand, um mich zu retten, dachte Anne und stellte sich vor, dass sie Lorenzo alles erzählen würde. Er würde wissen, was man tun musste, um ihren Sohn aus Giacomo de Pazzis Klauen zu befreien. Er würde … Es krachte erneut. Holzsplitter flogen durch den Raum. Donna Lucia schrie vor Entsetzen laut auf. Es klang beinahe wie das Quieken eines Schweins, das abgestochen wurde. Und noch bevor sie Lorenzo als ihren Retter begrüßen konnte, kam die Dunkelheit. Anne schwanden die Sinne.
IX
Die Rückkehr der Reisenden
»Signora! Signora! Wachen Sie auf!«
Eine freundliche Stimme erklang, eine Stimme, die Anne nicht kannte. Jemand klopfte ihr leicht auf die Wangen.
»Hol Wasser, Paolo, rasch!«
Hastige Schritte entfernten sich, und Anne schlug die Augen auf. Sie sah ein besorgtes Gesicht, das freundliche, wenn auch unbekannte Gesicht eines jungen Mannes mit kurzen dunklen Haaren und … einem kleinen Diamanten im Ohrläppchen. Er trug ein weißes, erstklassig geschnittenes Hemd mit einer Krawatte, und als er sich bewegte, sah sie eine Uhr an seinem Handgelenk. Eine Uhr mit einem Metallarmband.
»Das ist eine Tank von Cartier«, stellte Anne überrascht fest.
»Ja, Signora.« Der junge Mann lächelte freundlich. Doch seinem Blick war deutlich anzusehen, dass er ein wenig an ihrem Verstand zweifelte.
Anne versuchte sich aufzusetzen, doch es fiel ihr schwer. Sie hatte Kopfschmerzen. Und sie fühlte sich wund, wie zerschlagen. Alle Glieder taten weh, besonders aber ihr Rücken und ihr Bauch.
»Signora, bleiben Sie lieber noch einen Augenblick liegen«, sagte der junge Mann und drückte sie sanft wieder auf das Sofa zurück. »Paolo wird gleich mit einem Glas Wasser da sein.«
Anne schaute sich orientierungslos um. »Wo bin ich? Und wer seid Ihr?«
»Sie wissen es nicht mehr?« Der junge Mann lächelte. Dabei sah er jedoch aus wie jemand, der dachte: Die Lady hat wohl einen über den Durst getrunken. »Sie sind im Palazzo Davanzati, Signora. Sie waren Gast auf Signor Mecideas Fest. Ihnen ging es gestern Abend nicht so gut, deshalb hat er Sie in diese Kammer gebracht, damit Sie sich ein wenig ausruhen können. Signor Mecidea gab mir die Anweisung, Sie bis zehn Uhr schlafen zu lassen und
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