Verschwörung in Florenz
dann zu wecken. Ich bin der Chauffeur. Erinnern Sie sich nicht mehr, dass ich Sie gestern Abend vom Hotel abgeholt und hierher gebracht habe?«
Anne runzelte die Stirn. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken herum wie ein Schwarm aufgescheuchter Bienen. Gestern Abend? Aber gestern Abend war sie doch in ihrem Bett gewesen, im Haus von Giuliano. Was … Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Ihr Auftrag, über das Calcio in Costume zu schreiben. Ihre Ankunft in Florenz. Das Essen bei Giancarlo. Die Einladung zum Maskenball. Das teure Kostüm. Ihr Gespräch mit Signor Mecidea auf dem Fest. Das seltsame Getränk in dem kostbaren Kelch. Ihre Migräne.
Sie sah sich um. Tatsächlich war dies derselbe Raum, in den Cosimo Mecidea sie geführt hatte, als es ihr immer schlechter gegangen war. Sie lag immer noch auf dem antiken, etwas unbequemen Sofa, und an der Wand hingen die Bilder der beiden jungen Männer. Allerdings waren ihr am Vorabend die elektrischen Glühbirnen nicht aufgefallen, die auf dem kleinen schlichten Kronleuchter steckten, der von der Decke herabhing. Ja, aber was war dann mit allem anderen? Mit ihren Erlebnissen im 15. Jahrhundert, mit Giuliano, den Medici, Giacomo, der Geburt ihres Kindes … Hatte sie das alles etwa nur geträumt?
Ein anderer junger Mann betrat den kleinen Raum. Er trug ein silbernes Tablett mit einer Karaffe und einem Glas.
»Ah, Paolo bringt das Wasser.« Der Chauffeur goss Wasser in das Glas und reichte es Anne. »Trinken Sie, Signora, es wird Ihnen bestimmt gut tun.«
Gehorsam trank Anne einen Schluck. Sie hatte Durst. Aber gleichzeitig war ihr übel. Hatte sie gestern Abend vielleicht wirklich zu viel Alkohol getrunken?
»Wo ist Cosimo Mecidea?«, fragte Anne.
»Gewiss ist er zu Hause, Signora«, antwortete der junge Mann freundlich. »Er sagte mir, ich solle Sie wieder ins Hotel fahren. Aber wir können ihn gerne anrufen, falls Sie es wünschen. Oder sollen wir doch lieber einen Arzt holen?«
»Nein!« Anne schüttelte den Kopf. »Das … das wird nicht nötig sein. Mir geht es schon viel besser, nur …«
»Ja?«
»Nichts. Ich möchte nach Hause.«
Der junge Mann setzte seine Chauffeursmütze auf, hängte sich lässig sein Jackett über die Schulter und half ihr beim Aufstehen. Ihre Beine drohten einzuknicken, schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen, doch der junge Mann hielt sie fest. Mühsam schlich sie Schritt für Schritt, gestützt auf Mecideas Chauffeur, durch den Palazzo Davanzati. Überall begegnete sie Spuren des rauschenden Festes, das hier am Vorabend stattgefunden hatte – Tische, auf denen noch nicht abgeräumte Schüsseln standen, volle Aschenbecher, zertretene Blumen auf dem Boden, hin und her eilende Reinigungskräfte mit Müllbeuteln, Wischtüchern und Bohnermaschinen. Was sie sah, war alles deutlich, klar – und logisch. Und trotzdem … Hatte sie wirklich alles nur geträumt? War sie gar nicht im 15. Jahrhundert gewesen? War ihr Traum so lebhaft gewesen, dass sie glaubte, neun Monate erlebt zu haben?
Erschöpft, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich gebracht, nahm sie in dem Bentley Platz. Es war derselbe Wagen, der sie auch hierher gefahren hatte, derselbe Chauffeur. Sanft glitt das Auto durch die Straßen, vorbei an Ampeln und Kreuzungen. Einmal mussten sie rechts ranfahren und einem Krankenwagen Platz machen. Sie sah die Werbeschilder für Parfüms und Zigaretten, die Schaufenster der teuren Geschäfte, die Männer in ihren Anzügen, die Frauen in ihren Kleidern und Kostümen. Sie sah das alles, und es war ihr vertraut. Und trotzdem bestaunte sie es, als würde sie es zum ersten Mal in ihrem Leben sehen. Gestern Abend – ihr kam es wirklich so vor, als lägen Monate dazwischen.
Im Hotelzimmer ließ Anne sich zuerst auf das Bett niedersinken. Sie lehnte sich gegen das weich gepolsterte Kopfteil und dachte nach.
Es war mittlerweile halb elf. In einer halben Stunde würden die Feierlichkeiten für das Calcio in Costume beginnen. Ausgeschlossen, dass sie sich bis dahin fit genug fühlen würde, um gemeinsam mit Thorsten die Reportage durchzuziehen. Nein, sie würde es nicht schaffen, sie musste passen. Dabei hatte sie schon ganze Nächte durchgezecht und war am nächsten Tag trotzdem pünktlich zum vereinbarten Interview erschienen. Doch heute nicht. Zum ersten Mal in ihrer Karriere war sie zu krank, um ihren Job zu machen. Was auch immer Mecidea in diesen Trunk gemischt hatte, dies war ohne Zweifel der schlimmste Kater ihres Lebens.
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