Verschwörung in Florenz
steif und durchgefroren.
Jetzt wäre ein Glühwein genau das Richtige, dachte sie und überlegte, ob sie das Rezept nicht in Florenz einführen sollte. Die Medici verfügten über Rotwein im Überfluss, und Orangen, Nelken, Zimt sowie Honig als Zuckerersatz ließen sich gewiss ebenfalls ohne Schwierigkeiten beschaffen. Aber sie konnte sich sehr gut die seltsamen Blicke vorstellen, mit denen die Dienstboten sie mustern würden, wenn sie in der Küche auftauchen und Anweisungen geben würde, einen großen Kessel voller Rotwein auf das Feuer zu setzen. Einige der Mägde und Knechte hatten sich immer noch nicht an ihre etwas andere Art mit ihnen zu sprechen gewöhnt. Manche schienen sie zu verachten oder gar Angst vor ihr zu haben. Sicherlich hielt der eine oder andere sie für verrückt. Sie selbst wusste ja manchmal nicht mehr, ob dies alles wirklich real war oder ob sie sich ihre Reise ins 15. Jahrhundert nicht nur einbildete. Und es war gewiss nicht klug, derartige Vorurteile weiter zu schüren. Die Florentiner würden also auch in den folgenden hundert Jahren auf Glühwein verzichten müssen.
Giuliano nahm ihren Arm und führte sie zum Eingang. Die Halle des Landhauses war bereits festlich erleuchtet. Es brannten unzählige Kerzen, und in dem großen, fast die ganze Stirnseite der Halle einnehmenden Kamin brannte ein Feuer, über dem ein Ochse am Spieß gebraten wurde. Festlich gekleidete Diener eilten von der Küche quer durch die Halle zu dem gegenüberliegenden Saal. Sie trugen schwer an den großen, mit weißen Tüchern bedeckten Schüsseln und Platten, von denen verlockende Düfte emporstiegen.
Inmitten des Trubels standen Clarice und Lorenzo, die beiden Gastgeber, und gaben Anweisungen. Als ihr Blick auf Anne und Giuliano fiel, stieß Clarice ihren Mann kurz an und eilte dann auf die beiden Neuankömmlinge zu.
»Herzlich willkommen!«, rief sie mit ausgebreiteten Armen, ergriff Giulianos Hände, küsste ihn rechts und links auf die Wange und wandte sich dann strahlend an Anne. »Es freut mich, euch zu sehen. Ich bin euch dankbar, dass ihr früher hier eingetroffen seid. Es gibt noch so viel zu tun. Die Dienstboten verstehen die Anweisungen nicht, machen Dummheiten und sind so faul, dass man schier verzweifeln könnte. Aber Ihr wisst ja, Signorina Anne, wie es ist, ein Fest für zweihundert geladene Gäste auszurichten, nicht wahr?«
Clarice lächelte übertrieben fröhlich, doch Anne entging weder der schneidende Ton ihrer Stimme noch der abschätzende Blick, mit dem Giulianos Schwägerin sie von Kopf bis Fuß musterte. Clarice war keine schöne Frau. Ihrem Gesicht und ihrer Gestalt fehlte jede Grazie, jede Zartheit. Ihre Nase war groß und breit, ihr Mund voll und ihr Kinn eckig. Sie besaß breite, kräftige Schultern und hatte die Figur eines Mitglieds der russischen Olympiamannschaft der Ruderinnen. Im Grunde sah sie aus, als hätte aus ihr eigentlich ein Junge werden sollen. Dennoch war sie eine beeindruckende Frau, immer überaus geschmackvoll gekleidet. An diesem Abend trug sie zum Beispiel ein dunkelrotes Kleid, dessen Faltenwurf geschickt ihre Schultern umspielte und ihre breite Hüfte verdeckte. Das schwere, ohne Zweifel unsagbar kostbare Collier aus Smaragden in der Größe von Taubeneiern ließ ihren kurzen Hals länger und schlanker erscheinen, und das am Hinterkopf zu einem Knoten gesteckte Haar streckte ihr Profil vorteilhaft. Außerdem hielt Clarice sich kerzengerade und bewegte sich mit einer Anmut, die man ihr niemals zugetraut hätte. Ihre Gesten waren elegant, und ihre Stimme hatte einen angenehmen, warmen Klang. Giulianos Schwägerin war das lebende Beispiel dafür, was Willenskraft, eiserne Disziplin und ein geschicktes, typgerechtes Styling aus einem Menschen machen konnten, der von der Natur nicht mit der Gabe der Schönheit beschenkt worden war.
»Ich danke Euch für die Einladung, Clarice«, entgegnete Anne.
»Dankt mir nicht, meine Liebe«, erwiderte Clarice. »Nicht für diese Selbstverständlichkeit. Giulianos Geliebte ist uns jederzeit willkommen. Auch Simonetta war uns jederzeit willkommen – der Herr sei ihrer armen Seele gnädig.« Sie machte eine kurze Pause, als wollte sie Anne Zeit für eine stille Andacht geben. »Die Arme. Jedes Mal, wenn ich an sie denke, werde ich traurig. Sie starb so tragisch. So früh. Sie war so wunderschön. Simonetta und Giuliano passten so gut zusammen.«
Anne lächelte, doch sie hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschlagen. Sie kochte
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