Verschwörungsmelange
Aber erstens gibt es immer weniger Gasthäuser, die am Sonntag offen
halten, und zweitens handelt es sich hier um ein besonderes Spiel.«
»Jawohl, Frau Chefin«, sagte Leopold resignierend, während er
mit der rechten Hand die Belastbarkeit seiner Rückenmuskulatur prüfte. Er
wusste, dass es ein besonderes Spiel war, von dem mehr oder weniger die
Existenz der Floridsdorfer Eintracht abhing, und deshalb hätte er sich die
Partie liebend gern mit seinem besten Freund, dem Lehrer Thomas Korber, angeschaut.
»Aber könnte nicht vielleicht der Herr Waldbauer …«, äußerte er deshalb
zaghaft.
»Nichts da, Leopold. Ich erwarte einen starken Umsatz, und da
brauche ich beide Ober im Haus. Wir müssen rechtzeitig aufsperren, denn viele
Leute, die zum Spiel wollen, werden vorher auf einen Sprung hereinschauen, und
nach dem Derby haben wir, wenn es gut geht, ohnehin alle Hände voll zu tun.
Dieses eine Mal werden Sie es wohl aushalten, dann ist die Saison ohnedies
vorbei.«
»Eben«, konstatierte Leopold mürrisch. »Ich wusste gar nicht,
dass Sie sich so für Fußball interessieren.«
»Eine Geschäftsfrau muss sich für alles
interessieren, was ihr einen neuen Markt erschließt«, erwiderte Frau Heller.
Dabei stellte sie behände einige abgewaschene Gläser ins Regal. »Außerdem wäre
es eine Bildungslücke, wenn man heutzutage beim Fußball nicht mitreden könnte.«
Leopold seufzte. Das konnte ja heiter werden, wenn seine
Chefin plötzlich das Bedürfnis hatte, zu einem Thema wie Fußball ihre Meinung
kundzutun. »Das Runde gehört ins Eckige«, hörte er sie da schon hinter der
Theke dozieren. »Na, was sagt Ihnen das?«
»Bei uns im Kaffeehaus hat bis jetzt immer das Eckige, also
der Würfelzucker, ins Runde, also ins Kaffeehäferl, gehört«, antwortete Leopold
kopfschüttelnd.
»Seien Sie doch nicht so grantig. Wer am Vorabend sündigt,
muss trotzdem am nächsten Tag wieder seinen Mann stehen«, belehrte ihn Frau
Heller mit diebischer Freude. »Was meinen Sie? Der Gegner wird eine Viererkette
bilden, aber wir werden wohl mit zwei Sturmspitzen dagegen ankämpfen.«
Leopold spürte wieder eine leichte Schwäche in seinen Beinen.
»Ich sage Ihnen, dieses Derby wird eine enge Partie, in der
wir unsere mentale Stärke beweisen werden, denn aufgeben tut man einen Brief,
Leopold.«
Jetzt reagierte auch sein bisher so tapferer Magen mit einem
flauen Gefühl.
»In der zweiten Halbzeit ist das Ding dann gegessen,
beziehungsweise das Bonbon gelutscht.«
»Was für ein Bonbon?«, fragte Leopold genervt.
»Das ist ein Fachausdruck, Leopold. Eine Terminologie. Das
heißt so viel wie: Wir werden den Ball versenken und dann die Räume eng machen.
Und beim Gegner ist die Flasche leer.«
Trotz seiner Wehwehchen war Leopold in diesem Augenblick
froh, als ihn ein Gast zu sich rief. Mein Gott, würde das jetzt die ganze Woche
so weitergehen? Nicht nur, dass am Sonntag zusätzliche Arbeit auf ihn wartete,
musste er sich bis dahin auch die unreflektierten Fachsimpeleien seiner Chefin
anhören.
»Das ist Allgemeinbildung«, rief Frau Heller ihm
nach. »Man muss nur ein wenig die einschlägigen Artikel in den Zeitungen und
Zeitschriften studieren. Sie sollten sich auch damit beschäftigen, Leopold,
dann würden Sie nicht immerzu an Ihre abartige Kriminalistik denken.«
»Melange mit wenig Schaum, sehr heikel«, ordnete Leopold an,
ohne auf diese Provokation zu reagieren.
Und siehe, es kehrte wieder Ruhe hinter der Theke ein. Frau
Heller braute ihr Gebräu, und die Kaffeemaschine summte leise ihr Lied dazu. Es
wurde still, und das war gut so.
Na also, dachte Leopold. Jetzt hat sie fertig.
*
Wenn Leopold an diesem Vormittag eine kleine
Pause einlegen durfte und ihm dabei die Mattigkeit vom Vortag nicht allzu sehr
zu schaffen machte, dachte er mit Wehmut an das sonntägige Spiel und seinen
heimlichen Lieblingsverein, die Eintracht aus Floridsdorf. Die Existenz dieses
Klubs hing tatsächlich an einem seidenen Faden. Denn er sollte mit dem
Lokalrivalen, den Floridsdorfer Kickers, fusioniert werden.
Die Floridsdorfer Eintracht war 1913 als erster Fußballklub
Floridsdorfs von dem aus Braunschweig stammenden Gemischtwarenhändler Rolf
Thiel gegründet worden. So entstand auch – in Anlehnung an den deutschen Klub
Eintracht Braunschweig – der Vereinsname. Der Platz befand sich auf dem
sogenannten Donaufeld bei der Alten Donau, einem Nebenarm des großen Flusses,
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