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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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doch nicht. Es blieb einige Klafter von ihm entfernt stehen. Den kleinen Hintern warf es immer wieder hoch, so drehte es sich merkwürdig im Kreis und pfiff in alle Richtungen. Das Rehlein war verzweifelt. Seine verhältnismäßig großen Ohren standen vor Verwunderung auseinander. Als wollte es sagen: »Was ist los? Meine sorgsame, gute Mama, die mich bisher behütet und geführt und die auf mein geringstes Wort stets gleich zu mir gefunden hat, ist sie jetzt mit irgendeinem fremden Herrn von mir fortgelaufen? Und hat sie mich in diesem gefährlich dunklen Wald allein gelassen? Ich finde sie nirgends und rufe sie vergeblich, was für eine entsetzliche Geschichte! So etwas gab es noch nie, seitdem die Welt steht!« Kein Zweifel, es verstand nicht, was Ende Juli im Wald vor sich ging. Es verstand nicht und konnte auch nicht verstehen, dass dies für die Rehe die Zeit der Vermählung war, dass sich seine liebe Mama jetzt eben damit vergnügte, einen Rehbock zum Narren zu halten und ins Leere laufen zu lassen, bis sie dann schließlich irgendwo doch erlauben wird, dass er sie einholt. Sie würde hernach das kleine Kitzchen suchen, doch erst später, denn jetzt ergötzte sie sich noch daran, gehetzt zu werden. Das Kitz wusste von all dem nichts, es drehte sich hin und her, seine kleine, lackschwarze Nase spitzte sich schnuppernd, vielleicht würde es von der Rehmutter die Witterung bekommen. Fünf bis sechs Minuten lang standen auf solche Weise der Mann und das Rehkind kaum einige Schritte voneinander entfernt. Bálint dämpfte selbst seinen Atem, obwohl das Rehlein von seiner Trauer dermaßen beansprucht war, dass es auf ihn gar nicht achtete. Schließlich pfiff es zweimal klagend, wandte seine auseinanderstehenden Ohren der Wiese zu und trabte in jene Richtung fort.
    Erst jetzt nun lachte Bálint lautlos. Ihm bereitete es unbändige Freude, dass unter seiner Herrschaft die Ruhe im Wald nun auf solche Art wiederhergestellt war. Die Wildnis lag da, still wie im Urzustand. Der Entschluss, das unrechtmäßige Weiden nicht zu dulden und streng zu ahnden, festigte sich in ihm noch mehr.

    Abády war tags darauf gegen Mittag schon im Tal des Szamos. Er und Zutor waren zu Pferd, die Forsthüter kamen zu Fuß daher. Jeder hatte sein Gewehr. Unter dem Fußvolk führten natürlich alle eine Axt mit. Auch zwei Lastpferde gehörten zum Zug, obwohl für einen kleineren Ausflug dieser Art auch eines genügt hätte. Sie hatten inzwischen beschlossen, den drei nicht eingeweihten Forsthütern, die mit dabei waren, die Erklärung zu geben, es gehe hinüber auf die andere Seite ins bischöfliche Gebiet, zum Szamosbazár, was eine weitere Wanderung sei, zu der man mehr an Ausstattung brauche. Dabei empfahl es sich, dem angekündigten Plan bis in die Einzelheiten Wahrscheinlichkeit zu verleihen, denn die Leute im Hochgebirge sind gewitzt und neugierig; ohne die strengste Geheimhaltung wäre ihr Unterfangen gleich in weitem Kreis bekannt geworden. Und bei der Schnelligkeit, mit der sich Nachrichten im Hochgebirge verbreiten, fänden sie tags darauf im verbotenen Revier kein einziges Rind mehr, und die Leute würden bloß über sie lachen. Darum also war es gut so.
    Die letzten Häuser blieben schließlich hinter ihnen zurück, was freilich lange gedauert hatte, denn die Streusiedlung Gyurkuca zieht sich am rechten Flussufer etwa sieben Kilometer lang hin. Es traf sich auch günstig, dass Sonntag war, so begegneten sie außerhalb des Dorfs kaum einem Arbeiter, der hätte sehen können, wie sie vom Lauf des Szamos abwichen und sich links dem Ponor-Gebiet zuwandten. Sie erreichten den Bach. Einige Minuten, und sie verschwanden im dunklen, dichten Tannenwald.
    Lange marschierten sie, von Ioan Omului geführt. Dies war sein Revier. Es ging bereits auf den Abend zu, als sie oben neben einer kleinen Wiese ankamen, wo es für die Pferde Futter gab und wo ein fürchterlich steiler Pfad verlief, auf dem sie vor Tagesanbruch und natürlich zu Fuß den Grat erklettern und das diesseitige Ende des Kahlschlags erreichen würden. Sie zimmerten kein Halbdach – Hammerschläge sind weit vernehmbar – und entfachten einzig ein kleines Feuer, damit das Licht in der Ferne niemandem auffiel.
    Noch herrschte Nacht, als sie sich bergwärts auf den Weg machten. In schwerem, oft weglosem Gelände stiegen sie durch den Wald hinauf. Der Morgen dämmerte kaum, als sie bereits auf dem Grat standen. Die größeren Sterne leuchteten noch, die kleinen verschwanden nach

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