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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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waren angenehme Monate gewesen. Addy und ihre Schwester hatten sich zu Einkäufen und Bestellungen auch in Budapest aufgehalten, sie konnten während mancher Wochen oft zusammen sein, ebenso in Klausenburg und einmal in Mezővarjas. Dies war die schönste Form des Liebeslebens – sich oft und ohne jede Behinderung zu treffen, währenddem aber der eigenen Arbeit nachzugehen und inzwischen träumerisch die Fäden ihrer nicht mehr allzu fernen Vermählung weiterzuspinnen. Für eine kurze Weile den vielfachen Widerstand zu vergessen, den sie beide würden überwinden müssen.
    Windstille herrschte auch in der Politik. Zur Verabschiedung von gewichtigen Gesetzen war es nicht gekommen. Einzig Darányi gelang es, auf dem Gebiet der Viehzucht Neues vorzuschlagen und durchzubringen, und immerhin beendete die Abgeordnetenkammer die langwierigen Debatten über die Hausordnung und den Staatshaushalt. Auch die Regierung brachte es endlich fertig, die zuvor von ihren eigenen Parteien behinderte Erhöhung der Offiziersgehälter zu ordnen. In Kroatien allerdings gärte es weiter. Der Banus war auf einer seiner Reisen insultiert worden. Es hieß indessen, zwischen ungarischen und kroatischen Abgeordneten seien Friedensverhandlungen in Gang gekommen. Vielleicht würden sie eine Einigung zeitigen.
    Die Kriegsabsichten, die Slawata im vergangenen Herbst Bálint gegenüber erwähnt hatte, blieben ohne Folgen. Das Verhältnis zu Italien war nach wie vor unverändert. Eduard, der König von England, hatte freilich Anfang Juni in Reval dem russischen Zaren unter gewaltigen Feierlichkeiten einen Besuch abgestattet, was eine demonstrative Verkündung der englisch-russischen Harmonie bedeutete. Jetzt im Juli kam es indessen in der Türkei zu einem gefährlichen Aufruhr, einer Militärrevolte in Monastir und Saloniki. Die Nachrichten klangen ziemlich unsicher, die Lage musste aber schlimm sein, denn Abdul Hamil war gezwungen, eine Verfassung zuzugestehen, eine allgemeine Amnestie zu erlassen und die Zensur aufzuheben. Aus freien Stücken hatte er es gewiss nicht getan. Ebenso gewiss erschien, dass dies nicht einen Abschluss bedeutete, sondern den Beginn eines unabsehbaren Vorgangs. Komplikationen sonder Zahl könnten hieraus noch entstehen. Sollte aber die Konstantinopel-Frage aufgeworfen werden, dann käme der Gegensatz zwischen England und Russland gleich zum Vorschein. Asien ist groß. Die Einflussbereiche lassen sich dort auf der Landkarte einfach in diese oder jene Richtung hin und her schieben. Konstantinopel aber ist ein fester Punkt, der seinem Besitzer entscheidende Kraft verleiht. Vielleicht, dachte Bálint, haben wir Glück, und die Würfel fallen so, dass sich England uns wieder annähert, denn für die Briten ist es von höchster Wichtigkeit, die Dardanellen vor der russischen Flotte geschlossen zu halten.
    Überlegungen dieser Art stellte er auf dem Hochsitz an, beim Stamm der jahrhundertealten Tanne. Die flüchtigen Gedanken freilich verblassten in seinem Geist gleich wieder, denn seine Aufmerksamkeit galt weiterhin der sich tief unter ihm ausbreitenden Wiese. Der strahlende Himmel und das Licht, das sich von allen Seiten widerspiegelte, lösten dort jeden Schatten auf, die Farben allein schieden die Gegenstände voneinander: Das neue Buchenlaub war glänzend grün, die jungen Tannen bläulich, das Gras spielte über morastige Stellen ins Tiefgrüne und auf den lehmbedeckten Steilhängen beinahe schon ins Gelbe; die Äste des einen oder anderen längst umgestürzten Baums zeichneten sich schneeweiß ab vor dem alles überziehenden Grün, als habe man in einem Ölbild die Farbe mit der Messerspitze herausgekratzt; und hauchdünn, golden stäubend bestreuten die hohen Ähren des Rispengrases auf den Kanten die reich bewachsene Wiese, dort, wo sich der Boden unter der Pflanzendecke unsichtbar krümmte.
    Gezwitscher von Haselhühnern vernahm man aus dem Wald. Sonst gab es lange keinen anderen Laut. Nun aber folgte ein kurzes, leises Knacken. Keiner würde es hören, wäre die Stille nicht so tief. Es kam vom Waldrand rechts. Bálint richtete die Augen jäh dorthin.
    Eine Rehgeiß stürmte aus dem Dickicht, beschrieb einen weiten Kreis bis zum unteren Ende des Tals und wieder zurück, hinauf zu einem der kleinen Hügel auf der gegenüberliegenden Seite. Ihr folgte ein Rehbock. Er hatte sie gewiss schon lange gejagt, denn sein Maul schäumte leicht. Er verfolgte sie denn auch nicht bis zum Hügel, sondern blieb auf halbem Weg keuchend

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