Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
und nach am Himmel, der sich langsam blau färbte. Dichter Nebel lag über dem Tal der Intreapa, doch die gegenüberliegende Bergkante war gut sichtbar. Purpurschwarz und hart zerschnitt sie das frühe Dämmerlicht. Rechts erstreckte sich der zweihundert Joch umfassende Kahlschlag, wo noch Nacht herrschte. Ungewiss, ob sich dort etwas befand.
Eine geradlinige Schneise markierte die Grenze zwischen dem Kommunalgebiet und dem Abády-Gut. Sie war auf dieser Seite steiler und folglich kürzer als auf der anderen Seite. Um sie zu sperren, würden vier Männer genügen. András Mézes Zutor blieb also oben auf dem Gipfel, und die Forsthüter wurden im Abstand von je fünfzig Metern aufgestellt. Der Plan sah nämlich vor, auf beiden Talseiten aufwärts – wie bei der Jagd – ein Treiben zu veranstalten und die Herde, sofern sie sich wirklich dort befand, in die oberste Ecke zu drängen; dort würden sich die Tiere sammeln und dem Bachbett nach hinunterbringen lassen.
Bálint stieg langsam abwärts. Es wurde bereits heller. Bevor er in den Nebel eintauchte, vergewisserte er sich, dass sich der Forstingenieur wirklich auf der anderen Seite befand, dass er ebenso dabei war, seine Leute aufzustellen, und dass auch er auf das Tal zuhielt. Beim Bach trafen sie sich. Alles klappte. Doch man musste warten, bis sich der Nebel lichtete. Abády setzte sich auf einen Stein, während sich Winkler zu seiner Mannschaft zurückbegab, um mit ihnen zu marschieren und so beim Treiben den linken Flügel in Ordnung zu halten. Wind erhob sich von oben wie stets bei Tagesanbruch.
Die Sonne erwärmt die offeneren Räume am Szamos, die laue Luft steigt auf, und kalte Luftzüge drängen aus den engen und deshalb schattigen Tälern nach unten. Es war ein kalter, nasser Wind, der Bálint leicht frösteln ließ. Die Sonne setzte sich aber bald auch in seiner Umgebung durch, und die Landschaft öffnete sich jäh, wie auf einen Zauberschlag. Alles ließ sich nun klar erkennen, und in der Tat! … Beide Seiten des kleinen Tals waren voller Rinder. Die Galtvieh-Herde von Gyurkuca weidete in der Aufforstung. Es mochten zweihundert Tiere sein. Weiße Fleckchen, Kälber, Rinder, junge Kühe ringsherum, in der kristallklaren Luft hoben sie sich vom grünenden, mit Baumstümpfen bestückten Kahlschlag scharf ab.
Ein Pfeifton als Zeichen. Die Treiber zogen los; gleichmäßig, langsam schritten sie aufwärts. Während zehn bis fünfzehn Minuten geschah nichts. Dann aber erdröhnte ein wunderlicher Schall oben auf einem Grat: wild, tief hallend, melodiös, doch zugleich furchterregend, eine Mischung aus Orgeltönen und dem Horn des Schweinehirts. Dies war der Klang der drei Meter langen Alphörner. Und das Tosen kam nicht von einer Stelle allein. Nun vernahm man es bereits auch vom anderen Grat und vielleicht schmetterte es auch drinnen im Tal, am oberen Ende. Es war ein langgezogenes Brausen, der Ton der »Tulnyik-Hörner«, schrecklich stark, die Luft zitterte geradezu.
Und nun schien es, als wäre die ganze Herde auf diese Töne hin von Wahnsinn gepackt. In entfesseltem Lauf machten sich die Tiere überall auf den Heimweg, zurück ins Dorf. Fünf oder sechs bildeten Gruppen: brave, dicke Kühe, ältliche Rinder, dümmliche junge Ochsen und Kälber, sie alle rannten wie Hirsche, übersprangen die Holzklötze, die herumlagen, über Tannenzweige und Holzabfall hinweg liefen sie wild den Treibern entgegen. Man hatte ihnen offensichtlich beigebracht, auf den Hörnerschall hin nach Hause zu rasen. Gruppen von zwanzig bis dreißig Tieren stürmten schon den Bach entlang, unbändig und entschlossen wie zur Reiterattacke. Die Hörner dröhnten ununterbrochen weiter, und ihr Schall vermischte sich mit dem Schreckensgebrüll der flüchtenden Herde, den Rufen der Treiber, und das Echo gab das Ganze mehrfach wider. Das zuvor noch stille Tal wurde zum wahren Inferno der Töne. Es gab keine Möglichkeit, auch nur ein einziges Tier einzufangen. Wo sie in Massen kamen, hätten sie jedermann in den Boden gestampft. Und wenn nur eins oder zweie auftauchten, dann wichen sie so jäh aus und verschwanden so schnell, dass niemand es schaffte, sich ihnen auch nur zu nähern. Einige Minuten, und schon war alles vorbei. Die zweihundert Joch große Schlagfläche war leer.
Das nun bereitete grimmigen Verdruss. Ioan Omului schmiss, nachdem er zu Bálint hinabgestiegen war, seine Schaffellmütze zu Boden und stieß kernige Flüche aus, wie sie kaum ein Mensch je vernommen hat. Die
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