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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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stehen. Die Ricke tat einige Minuten so, als wolle sie nur weiden; dann riss sie den Kopf hoch. Sie blickte den Bock an, der etwa fünfzig Schritt weiter unten stand. Sie pfiff. Der Ton, ein Ruf, bedeutete so viel: »Komm zu mir, Freund!« Der Bock schoss sogleich in ihre Richtung los. Die kokette Rehgeiß wartete ab, bis er zu ihr aufschloss, als er aber noch etwa zwei Meter entfernt war, machte sie einen riesigen Sprung, und schwindelerregend setzte sie ihren Lauf fort. Sie hielten nun auf Bálint zu. Sie langten genau unter dem Holzplateau des Hochsitzes, am Fuß einer kleinen Felswand an. Der Bock hatte hier seine Liebste beinahe schon eingeholt, doch diese erfand nun eine neue, boshafte Finte. Sie begann rund um einen stattlichen Haselnussstrauch zu rennen, fast streifte sie die Blätter, und sie umrundete den Strauch so lange, bis der arme Hofmacher außer Atem kam. Während einiger Minuten standen sie wieder still. Hätte Bálint sein Taschentuch fallen lassen, es wäre zwischen den beiden niedergegangen. Die Ricke pfiff nun wieder und setzte zu einem neuen Lauf an. Sie jagten kreuz und quer durch das Tal, auf und ab. Fliegend übersprangen sie die umgestürzten Baumstämme, die im Gras lagen, und manchmal auch den einen oder anderen Strauch. Einmal tauchten sie hier, ein andermal dort auf, immer wieder blieben sie stehen, riefen und liefen erneut, je nach der spielerisch ausgelassenen Laune der Ricke, bis sie hinter dem Grat verschwanden, wo sie wohl eine neue Rodung oder Lichtung suchten, um das gleiche Spiel zu beginnen. Es war ein wunderbares Theater, wunderbar, das Liebesleben der Wildnis aus solcher Nähe zu verfolgen.
    Allmählich dämmerte es. Das goldene Licht schwand vom Muncsel-Gipfel. Violette Schatten und der Duft von Feldblumen legten sich über die Landschaft; der süßliche Geruch des modernden Laubs wurde stärker. Abády rüstete sich zum Aufbruch. Er hatte sich das Gewehr schon um die Schulter gehängt, als ihm unten in der Talsenke etwas in die Augen stach. Der Jungbestand von Tannen erhob sich dort, dicht wie Hanf. Etwas Braunes bewegte sich zwischen den Bäumchen. Er hob den Fernstecher an die Augen.
    Eine riesige Bärenmutter trat auf die Wiese heraus. Zwei kleine Bärenjungen begleiteten sie. Still schreitende Bären bieten einen überaus merkwürdigen Anblick. Sie scheinen zu torkeln. Ihr Kopf schwankt bei jedem Schritt hin und her. Man könnte meinen, sie schüttelten höchst nachdenklich das Haupt. Die Bärenjungen folgten der Mutter rechts und links – kleine Krümchen neben ihrer riesigen Mama. So zogen sie langsam der morastigen Stelle zu. Schlemmen würden sie im nassen, sumpfigen Winkel, wo dicke junge Pflanzen sprossen, schmackhafte Waldreben, und wo in großen Flecken Wildklee wuchs. Der Feldstecher brachte die Bärenfamilie Bálint so nahe, als ob er neben den Tieren stünde, selbst das kluge Funkeln ihrer winzigen Augen ließ sich gut erkennen. Die Kleinen mampften eher nur, während die Mama das Gras mit ihren großen Tatzen wie Garben umfing und bis zur Wurzel abfraß. Dort, wo sie vorbeigekommen war, blieben flach abgeweidete Grasteller hinter ihr zurück, so groß wie der Boden eines größeren Eimers. Nun unternahm eines der Jungen einen kleinen, ein wenig weiter führenden Streifzug, doch die Mutter gab einen kurzen, brummend knurrenden Laut von sich, und obwohl der wohlerzogene Balg fast unverzüglich zurückkehrte, wurde er von der Mutter mit einer leichten Backpfeife empfangen, da in der Wildtierfamilie Disziplin herrschte. Sie blieben ziemlich lange draußen, aber entfernten sich immer weiter. Schließlich verschwanden sie in der Nähe der Bachmündung.
    Bálint kletterte vorsichtig die Leiter hinunter, um zu vermeiden, dass sein Gewehr aufschlug oder eine Leiterstufe knackte. Lautlos schritt er auf dem grasbewachsenen Pfad heimwärts. Noch war es nicht vollständig dunkel. Bei einer Wegkehre drang – topp, topp, topp – das Geräusch kleiner Schritte an sein Ohr; es kam aus dem hier lichteren Hochwald. Er erstarrte, verharrte regungslos und spähte in die Richtung der Laute. Die Schritte blieben von Zeit zu Zeit aus, dann setzten sie wieder ein, als laufe ein kleineres Wild hin und her und wechsle dabei immer wieder die Richtung.
    Der klägliche Ruf eines Rehs ertönte zwei- bis dreimal, viel dünner als der Pfiff der Ricke. Dann raschelte es mehrmals leise, und ein Rehkitz sprang auf den Weg hinunter. Es lief beinahe in Abády hinein, bemerkte ihn aber dann

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