Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
herfallen wollen und ihm gedroht, sie würden ihn erschlagen. Allein brächte er es ohnehin nicht fertig, so viele Tiere fortzutreiben und als Pfand zu nehmen. Seitdem ließen die Leute ihre Tiere ständig dort weiden, die Aufforstung werde zerstört.
Er sprach würdevoll und mit Bedacht. Er stützte sich auf ein Bein, das andere streckte er vor. Bekam er eine Frage, dann wechselte er das Standbein, bevor er antwortete. Auch dies sollte zeigen, dass er die Antwort nicht von ungefähr gab. Wollte er aber etwas besonders hervorheben, dann spuckte er seitwärts aus, gleichsam um seiner Erklärung zur Bekräftigung den Stempel aufzudrücken.
Lange berieten sie. Zuletzt fassten sie einen Beschluss. Alle Forsthüter seien einzubestellen. Das mache siebzehn Leute. So viele wären imstande, das Vieh wegzutreiben. Der Forstingenieur werde morgen nach Béles hinuntersteigen und nachts mit der größeren Gruppe über einen weit ausholenden Umweg durch den Forst von Gyerőmonostor nach Intreapa kommen und bei Morgendämmerung schon da sein; Bálint werde sich am Morgen, zusammen mit András Mézes und vier weiteren Leuten, von hier auf den Weg machen, am Abend in Ponor ankommen und dort übernachten; am nächsten Tag bei Tagesanbruch würden sich alle am unteren, dem Dorf zugewandten Ende des Kahlschlags treffen. Die Bauern könnten auf solche Art von den Vorbereitungen nicht Wind bekommen, und man schaffe es, die Viehherde im verbotenen Revier zu überraschen.
Es wurde fünf Uhr. Die Sonne stand noch ziemlich hoch, versteckte sich aber dann bald schon hinter der Bergkette im Westen; der Talkessel lag im Schatten. Einzig der kahle Gipfel des Muncsel Mare leuchtete golden vom Norden her und übergoss die Landschaft mit gelber Helle. Ein leichter Windhauch erhob sich aus dem Tal, und ein ozonreicher Luftzug, aufmunternd wie Champagner, strich die Bergflanken entlang.
Bálint, das Gewehr über der Schulter und den Feldstecher um den Hals gehängt, zog in den Wald. Er wollte nicht jagen, bloß das Wild beobachten. Er folgte einem alten Fuhrweg, der, seitdem Bálint im Hochgebirgsgut der Familie Abády für Ordnung sorgte, allmählich zuwuchs und enger wurde. Er brauchte nicht weit zu gehen. Nach einem tüchtigen Marsch gelangte er nach einer knappen Viertelstunde zum Ziel: zu einem Hochsitz, den er an den Stamm einer gewaltigen Tanne hatte anbauen lassen. Der Baum stand am Rand eines wandartig steilen Abhangs. Davor und darunter eröffnete sich eine geräumige Lichtung in der Form einer riesigen, bauchigen Muschel; ihr Halbkreis reichte bis zum Fuß des gegenüber verlaufenden Nebengrats. Gras wuchs üppig auf der Wiese, denn unzählige Rinnsale durchzogen unsichtbar das Gelände; linker Hand bei einem Felsentor vereinigten sie sich, wurden schon zum Bach, der von hier in das Bett des Fehérvíz hinuntereilte. Sein Plätschern in der felsigen Enge war auch hier oben zu hören.
Er kletterte die Leiter hinauf, setzte sich wie in eine Loge an den Rand des Hochstands und suchte mit dem Feldstecher das Gelände ab. Bei jeder Baumgruppe und bei jedem Gebüsch, die wie Flecken zur Buntheit der Wiese beitrugen, blieb er mit dem Fernglas stehen, denn vom liegenden Wild ist außer dem Kopf oder bloß den Ohren kaum etwas sichtbar; wer es bemerken will, hat sehr genau zu beobachten. Auch der eine oder andere kleinere Hügel legte sich quer, verstellte die Sicht auf die vielfach gekrümmte Lichtung; einzeln prüfte er auch diese Stellen. Doch kein Tier hielt sich auf der Wiese auf. Er war rechtzeitig gekommen.
Ein einziger Adler kreiste am kristallklaren Himmel. Mit unbeweglichen Flügeln, langsam beschrieb er in schwindelnder Höhe seine Kreise. Nichts sonst rührte sich. Hier herrschte die unendliche Ruhe der Natur. Es war schön, da zu sein. Allein zu sein. Abády fühlte sich glücklich.
Die letzten Monate waren gleichsam in Windstille vergangen. Adrienne hatte nach der Verlobung der kleinen Margit beschlossen, vor der Hochzeit der Schwester im Herbst die Frage ihrer Scheidung gegenüber Uzdy nicht zur Sprache zu bringen. Sie fühlte sich als Mutter-Stellvertreterin in der Pflicht, für die Aussteuer der Schwester zu sorgen und für alles Übrige, das mit ihrer Verheiratung einherging. Sie wäre nicht imstande, sich in Ruhe all dem zu widmen, wenn sie zu gleicher Zeit in der eigenen Angelegenheit einen Sturm entfesselte; dabei stand fest, dass es zu ernsthaften Verwicklungen käme, wenn sie ihrem Mann auch nur ein Wort sagte. Es
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