Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
ausweichen. Unmittelbar unter dem Fenster indessen sah sie Laji Pongrácz und seine Kapelle und vor ihnen Gyerőffy! Die Serenade richtete sich also an sie! Ihr galt sie, ihr, der noch nie jemand eine Nachtmusik dargebracht hatte! Und gerade er, László, war es!
Dodó blieb einige Minuten bezaubert am Fenster stehen. Sie presste die Hände an ihre runden, kleinen Brüste, als wolle sie ihr Herz beschwichtigen, das ihr vor Freude laut im rundlichen Hals schlug. Dann entsann sie sich, dass sie keine Kerze angezündet hatte. Oh, wie ärgerlich! Am Ende würde er glauben, seine Serenade werde nicht angenommen. Schnell, schnell! Wo doch schon das zweite Lied beinahe zu Ende war. Eilig flatterte sie zum Bett und dann mit der brennenden Kerze zurück zum Doppelfenster. Sie öffnete den inneren Flügel und stellte die Flamme hinter den Vorhang.
Oh, das war nicht gut. Draußen dämmerte schon der Morgen, er würde das kleine Licht womöglich nicht wahrnehmen. Schnell fasste sie ihren Beschluss. Sie zog den Leinenvorhang zur Seite und stellte den Kerzenhalter zwischen die Gardine und den äußeren Fensterflügel. So war es richtig, nun stimmte es. Zwar hätte man für einen Augenblick von unten ihren nackten, fülligen Arm sehen können, aber was hätte sie schon tun sollen? Und so schlimm war das ja nicht, so sah man ja ihren Arm auch auf dem Ball, und sie hatte einen hübschen Arm und kleine Hände … Nein, deswegen konnte sie kein Tadel treffen! Nun suchte sie ihren wattierten Schlafrock, denn es war ziemlich kühl im Zimmer, und sie wollte sich nicht wieder ins Bett legen – nein, sie wollte aus dem anderen Fenster spähen und den jungen Mann betrachten, nur betrachten, ihn, der für sie musizieren ließ, der sie endlich, endlich bemerkt und erkannt hatte, wie sehr er sie interessierte, der für sie vielleicht auch Gegenliebe empfand – ach, selbst wenn nur ein wenig, auch das wäre schon genug, es wäre so schön! Fest wickelte sie sich in den Seidenmantel ein, der die Linien ihres leicht molligen, aber gut gebauten Mädchenkörpers nachzeichnete, und sie sinnierte über die Lieder. Und auf den Flügeln der Musik flogen ihr die Erinnerungen zu.
Älteren Datums: Es war anderthalb Jahre her auf dem Ball des Ida-Tags bei den Laczóks, als sie sich zum ersten Mal länger mit László unterhalten hatte; die vergebliche Sehnsucht während der hernach folgenden zwei Faschingszeiten, als sie ihn nur sehr selten hier und dort zu Gesicht bekam; dann die Nachrichten über ihn, die besagten, dass er Klára Kollonich den Hof mache und dass er sich furchtbar dem Kartenspiel ergeben habe; und schließlich – fast ein Jahr war es schon her – die Kunde, dass er aus dem Casino in Pest ausgetreten sei. »Er hatte es einzig der einflussreichen Verwandtschaft zu danken, dass er austreten durfte und nicht hinausgeworfen wurde!«, so sagten es Dodó mehrere mit einem schadenfrohen Lächeln, ohne zu ahnen, wie sehr ihr dies wehtat. Doch es tat nicht nur weh, nein, die Nachricht enthielt für sie auch eine stille Freude. Dies darum, weil sie gleich daran dachte, László müsse nun von dem verfluchten Budapest nach Siebenbürgen nach Hause zurückkehren, und sollte er einmal da sein, dann werde sie irgendwie doch an ihn herankommen, in seine Nähe, sie könnte ihn trösten und vielleicht … dann vielleicht … vielleicht trotzdem …
Und aus neuerer Zeit: In diesem Winter hatte er sich mehrmals in Klausenburg aufgehalten. Wenn Dodó von seinem Kommen erfuhr, ließ sie ihn durch ihre Mutter nicht nur zur Jause, sondern auch zum Nachtessen einladen, gemeinsam mit anderen jungen Leuten, versteht sich. Auf solche Weise bekam sie ihn ziemlich oft zu sehen, obwohl László jeweils kaum mehr als einige Tage in der Stadt verbrachte. Sie unterhielten sich über Musik, und das Mädchen traf mit dem Instinkt der verliebten Frau recht gut den Ton, welcher der Künstlerseele des jungen Mannes entsprach.
Während der Gespräche erforschte sie auch anderes. Aus dem einen oder anderen fallengelassenen Wort, das sie bei jeder Gelegenheit vorsichtig wiederaufnahm, erfuhr sie allmählich, wie es um Gyerőffys materielle Lage stand. Dass er seinen Landbesitz Ázbej, dem Gutsverwalter der Gräfin Abády, verpachtet und dieser die Pacht auf zehn Jahre voraus bezahlt habe. »Oh, das war eine große Liebenswürdigkeit von Ázbej«, sagte László, »ich muss ihm dankbar sein.« Er verfüge folglich über nichts anderes als das, was sein Gärtner, ein ihm
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