Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
fand es abscheulich, dass man ihn verhöhnte, und wollte dem ein Ende setzen. Er tat ihr auch unterwegs bloß leid; an anderes dachte sie kein bisschen. Ihre Sinne blieben stumpf, und sogar eine Art Ekel überkam sie, als man beim Aussteigen vor dem Hausflur den immer noch benommenen jungen Mann stützen musste. Hernach sah sie ihn nicht mehr. Man meldete, dass er schlafe. Er durchschlief den Tag, und sie sorgte für ihn – ein wenig mütterlich und aus natürlicher Güte, wie sie es für jeden getan hätte, den es in ihr Haus verschlug. Vielleicht auch darum, weil sie wünschte, er möchte ihr beim Wiedersehen nicht so schmutzig entgegentreten, wie er angekommen war.
In dieser Gestalt sah sie ihn vor sich, als sie ihn zum Abendessen erwartete. Daher war es für sie überraschend, nicht den heruntergekommenen Lumpen eintreten zu sehen, mit dem sie gerechnet hatte, sondern einen wohlgepflegten, jungen Mann von vorzüglichem Äußeren. Sein gut geschnittener Anzug war gebügelt. Er besaß weltmännische Umgangsformen, die sich selbst in der Beschämung bewährten, als er sie um Verzeihung bat. Auch darin gab es etwas von der gewinnenden Vornehmheit des großen Herrn. Er unterschied sich völlig von allen, denen sie bisher je begegnet war. Da begann die Verzauberung, die sich immer mehr steigern und sie ganz in ihren Bann schlagen sollte. Wie der junge Mann sprach, wie er aß, sich den Mund abwischte, wie er sich ans Klavier setzte, um wortlos seine Dankbarkeit zu bezeigen, all das wirkte jugendlich bescheiden, auf Herrenart ruhig und doch beinahe von kindlicher Anmut. Und sein Gesicht verwandelte sich, als er spielte, unbekannte Kräfte schienen aus seiner Seele zu strahlen; ein verwunschener Prinz, der von der weit entrückten Vergangenheit erzählte.
Diese nie gehörte Musik klang manchmal klagend und dann wieder grausam. Auf dem lange nicht mehr gestimmten Klavier wirkte sie wohl noch ungewöhnlicher. Schon dort, als sie neben ihm saß, hatte sie die Empfindung, diesen blassen jungen Mann mit den zusammengewachsenen Brauen von jeher zu kennen, ihn, der sie gelegentlich mit erweiterten Pupillen anblickte und ab und zu zur Erklärung auch einige Worte sprach, während unter seinen Fingern fortwährend neue Melodien entstanden.
All dies hatte sie am heutigen Morgen durchdacht und für sich geprüft. Nun fand sie ihr Verhalten am Abend fehl am Platz, ja beinahe lächerlich. Gewiss war es nur Nervosität gewesen. Und dass sie László erst seit kurzem kannte, hatte ja nichts zu bedeuten! Ihr stand doch frei zu tun, was ihr beliebte, sie schuldete niemandem Rechenschaft. So ihre Überlegung an diesem Tag. Und so betrat sie das Zimmer des jungen Manns. Sie wusste, dass sie in diesem Morgenmantel schön und begehrenswert war und dass jetzt, da sie auf dem Bett saß, das Seidengewand sich an ihrem Hals leicht öffnete.
Sie fragte, während sie den dampfenden Kaffee ausschenkte: »Mögen Sie ihn hell oder dunkel?«
Der Kaffee, freilich, erkaltete in der Tasse.
Mit diesem Abenteuer begann in Lászlós Leben ein neuer Abschnitt. Bald zog er beinahe ganz bei Frau Lázár ein. Zuerst allerdings war er nach Kozárd heimgekehrt. Als er aber sein eigenes unordentliches Haus wiedersah, fuhr er fast unverzüglich nach Dezmér zurück. Jetzt erst hatte er die bei ihm herrschende Kargheit und Öde entdeckt. Sein Zimmer war beinahe schon leer. Im Verlauf des letzten Jahres hatte er nach und nach nicht nur das Porzellan, sondern auch einzelne Möbelstücke verkauft. Er veräußerte mehr und mehr. Was Schöneres sich fand, gelangte durch die Vermittlung des Krämers Bischitz nach Klausenburg in den Laden der kleinen, dicken Frau Bruckner: Familienbesitz, schöne Taxusholztische und Schränke sowie die feinen, bronzenen Antiquitäten aus Frankreich, die seine Eltern einst in Paris gekauft hatten.
Kleinere Gegenstände brachte er selber nach Szamosújvár, verkaufte sie für einen Spottpreis oder versetzte sie bei der Pfandleihe. Auch eines seiner englischen Gewehre landete dort. Das Geld aber brachte er gleich durch, denn er pflegte betrunken in irgendeiner Spelunke Karten zu spielen.
Im Frühling, nachdem der alte Sándor Kendy ihm so gütig zugeredet hatte, machte er während einiger Tage den Versuch, sich zusammenzureißen. Er schrieb Ázbej einen Brief und erbat sich eine Aufstellung seiner Schulden. Der Mann antwortete tatsächlich und schickte irgendein Verzeichnis. Es sei nicht vollständig, schrieb er, er werde noch einen
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