Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
für Ferenc Kossuth. Denn die Aufrechterhaltung des Bündnisses lag nicht nur im Interesse der kleineren Parteien, sondern auch der größten. Solange nämlich die Koalitionsregierung bestand, waren die Minister der Unabhängigen in der Lage, vor ihrem eigenen Publikum zu begründen, warum das volle 48-er-Programm nicht verwirklicht wurde. Sie durften erklären: »Wir sind mit den 67-ern verbündet, wir haben zusammen gefochten und gesiegt, folglich müssen wir weiter zusammenstehen. Das haben wir bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte akzeptiert. Deshalb sind wir verpflichtet, in allem nachzugeben.« Und ihre Anhänger fanden sich mit diesen Argumenten tatsächlich ab. Fiele aber die Koalition auseinander, dann müssten die Unabhängigen, die über die Mehrheit verfügten, selber die Regierung bilden. In diesem Fall aber hätten sie entweder einzugestehen, dass sich von all dem, was sie jahrelang hoch und heilig versprochen hatten, nichts einlösen ließ, oder aber sie müssten erneut in die Opposition gehen, was Neuwahlen nach sich zöge, und zwar auf der Grundlage eines Programms, an dessen Erfüllbarkeit selbst die Anführer kaum mehr glauben mochten.
Mit den grundsätzlichen Programmpunkten waren aber die heiklen Angelegenheiten noch nicht erschöpft. Es gab eine Unmenge weiterer kleiner, persönlicher Fragen: Industrieförderung, die Besetzung von Stellen für Obergespane und Regierungsbeauftragte, die sich nach Parteienproportionen, aber auch nach der fachlichen Qualifikation richten sollte. Auch Weiteres fand sich, kleine und große Dinge, nicht zu reden von der riesigen Frage des allgemeinen Wahlrechts; dabei standen die Mitglieder der Koalition gegenüber der Krone gemeinsam in der Pflicht, aber die Art und Weise der Verwirklichung drohte für die künftige Dominanz der Parteien entscheidend zu werden. Alle diese Probleme, denen sie ständig begegneten, mussten die Minister, die zugleich Parteiführer waren, in Verhandlungen untereinander vertraulich lösen, einander für jede Konzession ihrerseits Konzessionen bieten, und dabei galt es, das Gleichgewicht nicht zweier, sondern dreier Interessengruppierungen im Auge zu behalten, was mit viel Zeitaufwand und Mühe einherging und auch Geheimhaltung verlangte, solange ein Fall nicht abgeschlossen war, da doch jede Entscheidung auch ein gewisses Einlenken bedeutete.
Verständlich somit, dass das politische Leben auch in den Clubs der Parteien stagnierte, da die Anführer besonders vor ihren Anhängern die eigenen Geheimnisse wahren mussten. Denn eine vorzeitig durchsickernde Einzelheit hätte ja einen Sturm entfachen können, durch den alles zerstört worden wäre.
Es verstand sich indessen, dass die vielen Gesetzgeber, die mit den Schlagworten der Koalition gewählt worden waren, sich ungern in die Rolle fügten, einzig ab- und zuzustimmen. Sie waren hiefür umso weniger zu haben, als sich ein guter Teil der Gewählten aus lauter ungarischen Rebellennaturen zusammensetzte, die in ihrer politischen Vergangenheit in den Komitaten oder den Provinzstädten niemals aufseiten der Regierung, sondern immer in den Reihen der Kritiker gestanden waren.
Sodann war diese Mehrheitspartei gar nicht so einheitlich. Die Unabhängigen gliederten sich in zwei Lager, in ein konservatives und ein radikaleres, und diese wiederum zerfielen in verschiedenartige Gruppen, die sich um ihre Führergestalten bildeten. Ferenc Kossuth, Albert Apponyi und neuerdings Gyula Justh hatten ihren gesonderten Kreis. Sie umfassten persönliche Anhänger, die, Zuschauern bei Pferderennen ähnlich, die auf Favoriten setzen, ihren politischen Erfolg mit der Machtüberlegenheit der einen oder anderen Persönlichkeit verbanden.
Doch es gab auch weitere Gruppen in großer Zahl. Etwa solche, die innerhalb der Regierungspartei gesondert standen und die ewige Opposition verkörperten: Leute, die sich zu Gábor Ugron, Sámuel Barra, Holló oder Polonyi hingezogen fühlten, dabei aber unbeständig waren. Einmal schenkten sie diesem, ein andermal jenem Gehör, und sie machten geltend, nicht so bedingungslose Anhänger zu sein wie etwa Kossuths oder Apponyis Parteigänger. Auch ihre Zahl schwankte je nach dem Stand des politischen Barometers. In ruhigen Zeiten zählten sie eher wenige Köpfe, vor Stürmen aber vermehrten sie sich jäh wie die Möwen an der Meeresküste. Und das eine oder andere wohltönende Wort, der eine oder andere gescheite taktische Griff führte sie je nach der Atmosphäre des
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