Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
in jeder Hinsicht erschreckend ist«, sagte er. »Die biologischen Mutationen, die wir alle gesehen haben, sind eigentlich unbedeutend, verglichen mit Phänomenen wie deinem Schattengebilde und anderen, die möglicherweise bald in Erscheinung treten werden. Keines davon ist übersinnlicher Natur, doch zugleich reichen diese Phänomene so weit über unser wissenschaftliches Begriffsvermögen und unsere dürftige, primatenartige Denkkapazität hinaus, dass wir ihnen fast göttliche Eigenschaften zuweisen.«
»Du hast das Schattengebilde ja noch nicht mit eigenen Augen gesehen«, erwiderte ich. »Aber wenn du’s erlebst ... Nun ja, es reicht jedenfalls, um dich in die Knie zu zwingen.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Dieser sogenannte »Teufel« der neuen Welt – wie Price das Schattengebilde nannte – war seiner Meinung nach eine zufällige Ansammlung von Teilchen, die sich aufgrund des starken Fallouts organisiert, zu einer Einheit zusammengeschlossen und organische Form angenommen hatte, sofern man das überhaupt in Worte fassen könne. »Und so verrückt das auch klingen mag«, sagte er, »hat dieser seltsame Spuk sehr lange auf seine Geburt gewartet. Alle ›Rohstoffe‹, die er brauchte, haben in Fässern mit radioaktivem Abfall, in Kernreaktoren und in gespeicherten instabilen Isotopen gelagert. Sie lagen dort einfach herum und warteten darauf, ins Leben gerufen zu werden. Ähnlich wie die anorganische Chemie während des Azoikums darauf gewartet haben mag, Leben zu gebären.«
Ich hatte mich stets gefragt, wieso sich das Schattengebilde nur in Vollmondnächten zeigte. Mit meinem Gehirn hatte es auch in anderen Nächten kommuniziert, aber nur in Vollmondnächten trat es als Gestalt in Erscheinung, um sich sein Opfer einzuverleiben. Ich hatte stets angenommen, dieses Gebilde sei ein derart esoterisches, übernatürliches Phänomen, dass ich es mit meinem armseligen kleinen Gehirn wohl niemals begreifen würde.
Aber auch in dieser Hinsicht hatte Price eine Hypothese parat, wie fast zu allem und jedem – von weiblichen Orgasmen bis zu den Begattungszyklen der Laubheuschrecke. Price vertrat seine Meinungen stets sehr entschieden. Er war einer jener Männer, die klüger waren, als es ihnen guttat. Zwar versuchte ich, einige seiner Annahmen anzufechten, aber das war vergebliche Liebesmüh. Er war ein Meister solcher Debatten und erwischte mich jedes Mal auf kaltem Fuß, sodass ich mir dumm und verdammt ungebildet vorkam, was mich ärgerte. Vor allem ärgerte mich, dass er mich nie als gleichberechtigten Diskussionspartner zu betrachten schien, sondern sich über mich amüsierte – fast so, als wäre ich ein niedliches kleines Hündchen, das zwar stubenrein war, aber wohl kaum als geistiges Gegenüber gelten konnte.
Nun hätte man meinen können, ich hätte Price sein Verhalten nachgetragen, aber so war es nicht. Ich schnappte nicht ein, denn ich bewunderte Menschen wie ihn aus tiefster Seele. Bei Leuten wie mir, die aus der Arbeiterschicht stammen, gab es früher eine ganz eigene Art von Hochnäsigkeit gegenüber reicheren und besser gebildeten Menschen; gern machten wir uns über sie lustig. Und häufig gaben sie in ihrer arroganten Art ja auch Anlass dazu, aber im Fall von Price war das nicht berechtigt. Er war hochintelligent, besaß Intuition, und wenn ich ihn mit der Voreingenommenheit eines Neandertalers abgelehnt hätte, wäre ich nur selbst der Dumme gewesen.
Also hörte ich ihm zu und lernte viel von ihm.
Die Hypothese, die das Auftauchen des Schattengebildes in Vollmondnächten erklären sollte, vermittelte er mir, wie immer, mit einem kleinen Vortrag. Wenn man die volkstümlichen Legenden über den Mond untersuche, dozierte er (und ließ dabei durchblicken, dass er das selbstverständlich getan habe), werde man gewisse, sehr interessante Muster darin erkennen. »Der Mond hat die Menschheit von jeher inspiriert. Er hat manche Menschen sogar in den Wahnsinn getrieben. Er reguliert die Menstruationszyklen von Frauen und war stets von großer religiöser Bedeutung. In vielen primitiven Gesellschaften betrachtete man den Mond als Göttin, als Schöpferin von Zeit und Raum, aber auch als Zwischenlager menschlicher Seelen – der Seelen von Ungeborenen und solcher Menschen, die auf ihre Wiedergeburt warteten. Da die Mondgöttin für die Zyklen von Schöpfung und Fruchtbarkeit, Geburt und Tod verantwortlich war, basierten uralte Kalender oft auf den Mondphasen oder auch auf weiblichen
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