Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
meine Freunde zu retten, musste ich das in Kauf nehmen.
Zumindest redete ich mir das ein, als ich Janie hinterhersah.
In diesem Moment fühlte ich mich ziemlich großartig, geradezu überheblich, vielleicht sogar edelmütig – als wäre ich irgendein blöder Held, ein fahrender Ritter, bereit, für Gott, Vaterland und seine Königin alles zu opfern. Doch bald darauf verließen mich diese Wahnvorstellungen, und ich dachte wieder nüchtern.
Ich zog mich an einen einsamen Ort zurück, in den hintersten Gang des Buchladens Walden Books, und setzte mich auf den Teppichboden. Umgeben von Regalen mit Kinder- und Jugendliteratur – mein Blick fiel auf Bücher von Junie B. Jones, Dr. Suess, Henry Higgins, Roald Dahl, Beatrix Potter, Suzy Klines Horrible Harry- Serie, Gertrude Chandler Warners Reihe Boxcar Children –, barg ich das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf. Rief mir dabei die Zeiten ins Gedächtnis, in denen ich noch eine Frau, ein wirkliches Leben und, ja, auch ein gewisses Maß an Würde gehabt hatte.
Anders als jetzt.
Als ich die Augen wieder öffnete, starrte ich auf die wohlgeordneten Buchreihen. Auf die Pappfiguren von Harry Potter und von Max aus Wo die wilden Kerle wohnen . Inmitten der Bücher, die die geheimen Welten meiner Kindheit heraufbeschworen, fühlte ich mich innerlich so kaputt, so gebrochen und mit den Nerven am Ende wie nie zuvor – ein postapokalyptischer Humpty Dumpty, so wenig zu retten wie die Figur aus dem alten englischen Kinderreim.
Fünf Tage lang hielt der Sandsturm an. Zwar ebbte er zuweilen kurz ab, doch nur, um bald darauf wieder aufzufrischen.
Zu diesem Zeitpunkt waren wir fast so weit, einander an die Gurgel zu gehen. Jede Abwechslung wäre uns willkommen gewesen, selbst ein Überfall von Wahnsinnigen oder ein Feuergefecht.
Als der Sturm sich endgültig gelegt hatte, stiegen wie einer nach dem anderen in den Bronco. Es fiel kaum ein Wort. Carl lenkte den Wagen aus dem Einkaufszentrum hinaus, zurück in die Außenwelt. Ganze Straßen waren von Sanddünen blockiert. Die in Sand begrabene und mit weißem Staub überzogene Stadt war kaum noch wiederzuerkennen.
»Wohin, Nash?«, fragte Carl, als wir, genau wie vor fünf Tagen, die South Main entlangfuhren.
»Nach Westen«, erwiderte ich. »Nimm die Route 20. Ich glaube, in South Bend erwartet uns jemand.«
SOUTH BEND, INDIANA
1
Wir brauchten eine Woche bis nach South Bend, denn es tauchte ein Problem nach dem anderen auf. Hier soll der Hinweis genügen, dass zu allem sonstigen Unglück kurz vor unserer Ankunft auch noch ein Reifen platzte, sodass wir irgendwo am Arsch der Welt landeten, dazu noch bei Nacht. Und nichts war schlimmer, als nachts zu Fuß unterwegs zu sein. Zu vieles lauerte da draußen. Raubtiere, die sich vom Kadaver der Städte nährten. Rudel wilder Hunde, mutierte Ratten, Schwärme blutsaugender Insekten und Schlimmeres, für das man kaum Worte fand. Die Verstrahlung hatte seltsame Blüten getrieben.
Schließlich fanden wir am Stadtrand ein kleines einstöckiges Haus und beschlossen, dort unterzuschlüpfen. Hier draußen gab es nichts als streunende Hunde, die in den Gossen herumschnüffelten, Ratten, jede Menge Autowracks und Staub, der durch die Straßen fegte.
Ich dachte, wir wären hier nachts in Sicherheit – doch weit gefehlt.
Das Haus war leer, solide gebaut und scheinbar gut zu verteidigen. Letzteres war natürlich nur schwer nachzuprüfen, da es drinnen stockdunkel war. Und ich wollte keine Taschenlampe einschalten, denn Batterien waren Mangelware und außerdem war ich nicht scharf darauf, das, was draußen lauern mochte, auf uns aufmerksam zu machen. Denn irgendetwas war da draußen, das verriet mir ein Kribbeln im Rückgrat. Und aus Erfahrung hütete ich mich, ein solches Gefühl als Paranoia abzutun.
Zehn Minuten nach unserer Ankunft hörten wie es alle: einen hohen, fast elektronisch klingenden Pfeifton – so als ahme irgendeine Maschine das Zirpen einer Heuschrecke nach. Und es gab nur eines, das solche Geräusche erzeugen konnte. Also wappneten wir uns.
Während ich langsam ein- und ausatmete und die .30-06 Savage umklammerte, wartete ich ab, jederzeit auf seine Ankunft gefasst, denn es hatte uns mit Sicherheit bereits gewittert.
Die anderen – Carl, Janie und Texas Slim – hatten sich in der dunklen Küche verschanzt und versuchten, sich still zu verhalten, was ihnen nur schlecht gelang. Ich hatte nicht vor, dem Unbekannten, das gleich durch die Tür
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