Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
College zu besuchen, war ich bis über beide Ohren in sie verknallt. An jenem Tag konnte ich nicht aufhören zu weinen, denn ich wusste, ich würde sie nie wiedersehen. Und so kam es auch. Immer noch schmerzte mich die Erinnerung daran so, als hätte mir jemand ins Herz geschnitten. Niemals vergaß ich jene Sommernächte.
Während ringsum die Grillen zirpten, lauschte ich auf Marys Flüstern, und über uns breitete sich die Milchstraße aus. Und Mary versprach mir, dass wir beide, sie und ich, eines Tages gemeinsam dorthin reisen würden.
Wie ich so vor dem Fenster saß, auf den Friedhof der Welt blickte, auf den der Mond herunterschien, und an Mary dachte, vermisste ich sie so sehr, dass ich am liebsten geweint hätte. Vielleicht verlor ich mich allzu sehr in meinen Erinnerungen, denn ich nickte, glaube ich, ein.
Und als ich aufwachte, tickte der Geigerzähler zu meinen Füßen wie verrückt.
Auf der Straße war irgendwas.
Ich schreckte auf meinem Stuhl zusammen und wäre fast heruntergefallen. Mehrmals blinzelte ich, um zu prüfen, ob meine Fantasie mit mir durchgegangen war, aber so war es nicht.
Auf der Straße stand ein kleines Mädchen und sah mich direkt an.
Sie kam mir wie ein soeben dem Grabe entstiegenes Gespenst vor – eine magere, in Lumpen gekleidete, von Maden befallene Gestalt. Und da erkannte ich, dass es überhaupt kein Mädchen war. Ich spürte Übelkeit im Magen und konnte den beißenden Gestank von Angst riechen, den meine Poren ausschwitzten.
Sie war eines der Kinder.
Ich glaube, ich versuchte die anderen zu warnen, aber mein Mund war so schlaff, als hätte mir jemand eine Betäubungsspritze in den Gaumen verpasst. Zwar brachte ich irgendein Geräusch heraus, aber es war so leise, dass es außer mir niemand hören konnte. Was noch schlimmer war: Steif wie eine Holzpuppe blieb ich einfach auf dem Stuhl sitzen. Vielleicht mit dem Gedanken, ich müsse mich nur tot stellen, dann würde das schreckliche kleine Mädchen schon wieder verschwinden. Aber weit gefehlt: Sie sah mich.
Sie wusste, dass ich da war. Vielleicht hatte sie gesehen, wie ich mich bewegt hatte, oder konnte mich riechen – die Angst riechen, die ich ausschwitzte – und war zu dem Schluss gekommen, dass es sie nach mehr verlangte.
Auf der mit Mondlicht gesprenkelten Straße konnte ich sie genau sehen: das farblose Haar, das ihr auf die Schultern hing, die graue Haut und das entsetzliche, von Furchen durchzogene Gesicht, das eher einer afrikanischen Fetisch-Maske als einem menschlichen Antlitz ähnelte. So, als hätte es jemand mit Messer oder Meißel geschaffen. Ihre gelben Augen lagen tief in den riesigen, knochigen Höhlen und flackerten wie brennende Kerzen in einem Minenschacht.
Schwer atmend und mit ausgedörrtem Mund hob ich so vorsichtig und selbstsicher wie möglich die Savage. Doch leider zitterten meine Hände so stark, dass ich die verdammte Waffe kaum halten konnte.
Das Mädchen da draußen war nicht näher gekommen.
Sie behauptete ihre Stellung, ich die meinige.
Ich musste sie erschießen, liquidieren, den verstrahlten Dreck in ihrem Schädel über das Pflaster verteilen, und zwar bald. Denn ob es nun Telepathie war oder irgendetwas Biochemisches: Wenn eines der Kinder den Aufenthaltsort eines Menschen kannte, dann alle .
Doch ich zögerte.
Mir war klar, dass Carl und Texas Slim keine Sekunde gezögert hätten. Doch trotz allem, was ich schon erlebt und getan hatte, trotz mehrerer Begegnungen mit diesen kleinen Ghoulen, hatte ich noch so viel Menschlichkeit in mir, dass die Vorstellung, ein Kind zu töten – oder etwas, das früher mal ein Kind gewesen war –, mir bitter aufstieß und ein so ekelhaftes Gefühl gab, dass ich mir am liebsten die Seele aus dem Leib gekotzt hätte.
Eine Stimme in meinem Kopf, die nicht dem Schattengebilde gehörte, sondern vermutlich nur ein uralter Instinkt war, sagte: Sieh dir das verfluchte Ding an, Rick. Es ist nicht menschlich, ist kein Kind. Es ist grau und ausgedörrt, voller Staub und Dreck, sieht aus wie eine einbalsamierte Leiche, die aus einem Grab gekrochen ist. Eine lebende Tote.
Ein guter Rat. Ich hob die Waffe, um das Mädchen zu töten, denn es ging kein Weg daran vorbei. Doch so beängstigend dieses Kind auch wirkte, sah es zugleich irgendwie bedauernswert aus. Eher ähnelte es einem Opfer als einem Täter, auch wenn es nicht weniger tödlich war als die Brennstäbe, die man auseinem Reaktorkern herausholt.
Vielleicht spürte die Kleine mein Zaudern,
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