Versprechen eines Sommers
damals, als er noch kleiner gewesen war.
Eine Glocke kündigte die Essenszeiten an, genau wie damals, als das Camp noch in Betrieb war. Connor hatte gesagt, wenn er die Mahlzeiten verpasste, wäre er auf sich allein gestellt. Julian hatte fest vorgehabt, auf das bestimmt ungenießbare Essen zu verzichten, aber sein Magen hatte ihn im Stich gelassen. Als die Glocke zum Abendessen rief, lief er so schnurstracks zum Speisesaal wie ein Pawlow’scher Hund.
Connor stellte ihm alle vor: Olivia Bellamy, die Connors Firma angeheuert hatte, um das Camp zu renovieren, war eine heiße Blondine. Sie sagte, dass sie sich von damals an ihn erinnerte, aber er erinnerte sich nicht an sie. In seinem Kopf waren alle Betreuer von damals ein verschwommener Haufen langweiliger, ewig lächelnder Weißer, die schlechte Musik hörten und am Lagerfeuer noch schlechtere Lieder sangen. Dann gab es einen Kerl namens Freddy und ein paar Verwandte – Cousine Dare, die Eventplanerin, die auch die Mahlzeiten zubereitete; einen Mann namens Greg und seinen lästig aussehenden Sohn Max. Der Junge mit den Apfelbäckchen, der ungefähr zehn sein musste, erinnerte ihn an einen der Söhne der Trapp-Familie aus dem schlimmsten Film aller Zeiten.
„Daisy sollte jede Minute hier sein“, sagte Olivia. „Geh ruhig schon vor und hol dir was zu essen.“
Daisy? Daisy?
Er versuchte, seine Neugierde im Zaum zu halten, und schlenderte zum Büfetttisch hinüber. Okay, er musste zugeben, dass Cousine Dare eine fabelhafte Köchin war. Er lud sich den Teller schamlos voll mit Hühnerpastete, Kartoffelpüree, Salat und Brötchen. Neben ihm stand Max und sah ihn mit vor Staunen geöffnetem Mund zu.
„Das willst du alles essen?“, fragte der Junge.
„Als Vorspeise, ja“, erwiderte Julian. „Als Hauptgericht esse ich kleine Jungs.“
Das funktionierte bei Max nicht. Anstatt sich schnell in den Schutz seines Vaters zu flüchten, kicherte er nur. „Oh, da zittere ich aber.“
Auch gut. Es war sowieso nur begrenzt witzig, kleinen Kindern Angst einzujagen. Julian stellte seinen Teller gerade in dem Moment auf einem Tisch ab, als Daisy den Raum betrat. Vielleicht lag es am Licht, vielleicht hörte Julian Stimmen, aber in dem Moment, wo sie im Eingang zum Speisesaal erschien, veränderte sich alles. Ein leichtes Raunen wie ein erwartungsvoller Seufzer hallte durch seinen Kopf.
Wie sie da stand, ihre weibliche Silhouette durch das von hinten einfallende Licht beleuchtet, hätte er schwören können, einen himmlischen Chor in perfekter Harmonie singen zu hören. Halleluja.
Normalerweise musste er seine Augen schließen, um sich eine so gute Fantasie vorzustellen. Aber hier war sie, live und in Farbe, und kam direkt auf ihn zu. Der Chor in seinem Kopf wechselte zu „Pretty Woman“, während sie mit dem Gang eines Supermodels immer näher kam, als würde sie die Musik ebenfalls hören.
Längst vergessene Manieren brachen sich Bahn, und Julian erhob sich, als sie einander vorgestellt wurden. Daisy war wie Julian aus New York und hatte gerade ihr Junior-Jahr an der Highschool vollendet. Sie schenkte ihm ein Lächeln, das die ganze Welt erhellte, und ihre faszinierenden blauen Augen funkelten. „Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?“ Auch wenn es eine Frage war, wartete sie nicht auf die Antwort, sondern setzte sich neben ihn, als wenn sie ihm eine königliche Ehre erweisen würde.
Und er hatte nicht vor zu protestieren.
Daisys Ähnlichkeit mit ihrem Vater und Max war unverkennbar. Sie war auch eine der Trapps – blond und germanisch, mit so ansprechenden Gesichtszügen, dass man eine Barbiepuppe nach ihr formen sollte. Dennoch fiel Julian auf, dass sich hinter diesem süßen Aussehen noch etwas anderes verbarg. Etwas, das er noch nicht genau bestimmen konnte; wie der Schatten einer aufgewühlten Seele.
Während des Abendessens erfuhr er, dass sie auf eine großkotzig klingende Privatschule in New York ging, von der sie behauptete, jeder müsse schon mal von ihr gehört haben. Ihre Mutter war Anwältin für internationales Recht, und ihr Vater war Landschaftsarchitekt und hatte sich diesen Sommer freigenommen, um Camp Kioga herzurichten.
Okay, mit seinen Eltern anzugeben ist echt nervig, dachte Julian. Wer machte so was schon? Er bestimmt nicht, so viel war mal sicher, und überhaupt sollte die hochnäsige Blondine ihm lieber keine Fragen über seine Familie stellen.
Glücklicherweise ließ sie das Thema fallen, als Dare den Nachtisch
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