Versprechen eines Sommers
haben.“
Obwohl er den Test, der Voraussetzung für die Aufnahme an einer Universität war, bereits gemacht und ein Ergebnis erzielt hatte, das die Schuloberen glauben ließ, er hätte geschummelt, fühlte Julian sich vollkommen unwissend.
„Militärakademie?“
„Diese Schulen sind umsonst“, erklärte Daisy weiter. „Sie bezahlen dich sogar dafür, sie zu besuchen.“
„Du spinnst.“
„Nein. Wirklich.“
„Nenn mir eine .“
„West Point. Ha, ich habe recht. Du könntest nach West Point gehen.“
„Ja, das wäre ungefähr so einfach wie ein Besuch auf dem Mond.“ Er hatte die Akademie mal in einem Film gesehen. West Point. Jungs, die wie Spielzeugsoldaten aufmarschierten und einander ins Gesicht schrien. Und das war ein College? „Du willst mir also erzählen, dass sie einem eine vierjährige Collegeausbildung für umsonst geben?“
„Du bekommst sogar ein monatliches Gehalt, solange du da bist. Dieser Junge aus meiner Schule, sein Vater ist ein Colonel in der Air Force oder so was. Er bewirbt sich gerade für einen Platz an der Air-Force-Akademie.“
Air Force, dachte Julian. Fliegen. Die Idee packte ihn so lebhaft wie ein Tagtraum.
„Das klingt echt extrem.“ Daisy war es offensichtlich müde, zu versuchen, high zu werden. Sie steckte den kalten Joint in einen Gefrierbeutel. „Ich glaube, zusätzlich zu dem ganzen militärischen Zeug muss man Ingenieurswesen oder irgendwas Wissenschaftliches studieren. Und wer will das schon?“
Julian dachte an seinen Vater, und der Schmerz über seinen Verlust traf ihn mit einem Mal so hart, als hätte ihm jemand ein Messer ins Herz gerammt. Die Wissenschaft hatte Louis Gastineaux komplett vereinnahmt. Sie war seine Leidenschaft. Julian konnte das verstehen, denn er hatte auch diese Leidenschaft in sich. Nicht für die Wissenschaft, aber fürs Fliegen, für Gefahr und Geschwindigkeit. „Wo ist da der Haken?“, wollte er wissen.
„Man bezahlt keine Studiengebühren, aber definitiv ist man ihnen was schuldig. Du gibst ihnen mindestens fünf Jahre deines Lebens.“ Sie betrachtete Julian mit einem wissenden, mitfühlenden Blick. „Es muss komisch sein, auf eine Highschool zu gehen, auf der niemand einem hilft, sich aufs College vorzubereiten.“
„Ich habe da bisher nie wirklich drüber nachgedacht.“ Julian wusste nicht, was schlimmer war – dass es niemanden kümmerte oder dass die Möglichkeit, aufs College zu gehen, so weit entfernt lag, dass er sie für sich nie in Betracht gezogen hatte.
„Na ja, aber nur weil dir niemand hilft, heißt das ja nicht, dass du dir nicht selber helfen kannst.“
„Sicher“, sagte er und warf einen weiteren trockenen Ast aufs Feuer. „Danke für den Hinweis.“
„Du trägst die Nase aber ganz schön hoch“, sagte sie.
„Und du trägst deinen Kopf in den Wolken.“
Daisy lachte laut, und ihre Stimme war so leicht wie die Funken und der Rauch des Feuers. Er saß ganz still und genoss den Augenblick.
Okay, dachte er, vielleicht wird dieser Sommer doch nicht so schlecht wie befürchtet.
17. KAPITEL
F ür Olivia begann jeder Tag mit einer magischen Stunde. Die Vögel weckten den Wald mit ihrem fröhlichen Gesang, und die Sonne tauchte die ganze Welt in einen goldenen Schimmer. Über dem See lag ein leichter Nebel, dessen Schwaden von der sanften Brise bewegt und schließlich von der stärker werdenden Sonne aufgelöst wurden. Sie joggte jeden Morgen, so wie sie es in der Stadt auch getan hatte. Nur war sie da auf einem Laufband gelaufen. Camp Kioga hingegen bot ihr eine fünf Meilen lange Strecke durch die Wälder, deren Weg gerade erst von der Gärtnercrew ihres Onkels freigelegt worden war.
Auf dem Laufband hörte sie immer Musik von ihrem iPod, damit ihr nicht langweilig wurde. Hier jedoch brauchte sie auf ihrer Joggingrunde keine künstliche Musik im Ohr. Das Trillern der erwachenden Vögel, das gelegentliche Brüllen eines Elchs und das Rauschen der morgendlichen Brise waren Unterhaltung genug.
Als sie aus dem Wald in Richtung Speisesaal lief, sah sie Connor Davis, der seinen Truck hinter einem Geräteschuppen abstellte, und wäre fast über ihre Füße gestolpert.
„Du bist aber früh auf den Beinen.“ Sie versuchte, nicht zu angestrengt zu atmen, als sie ihn begrüßte. Ihr Lächeln war freundlich, aber innerlich zuckte sie zusammen. Er hatte die Angewohnheit, sie immer in ihren schlimmsten Momenten zu überraschen. An einem Fahnenmast hängend. In ihrem unförmigen Maleroverall. Und
Weitere Kostenlose Bücher