Versprechen eines Sommers
aufgewachsen sind.“ Ich habe eine Schwester. Sie fragte sich, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie Jenny die ganze Zeit über gekannt hätte. Jemand, mit dem sie Geheimnisse teilen, Witze erzählen, sich gegenseitig Ratschläge geben oder hätte streiten können. Vielleicht wäre Olivias Kindheit dann nicht so einsam gewesen. Vielleicht hätte sie dann mehr Selbstbewusstsein gehabt.
„Was mache ich denn jetzt?“, überlegte sie laut. „Ist es möglich, dass Jenny nicht weiß, wer ihr Vater ist? Ich kann ja nicht einfach zu ihr gehen und sie fragen.“
„Ruf deinen Vater an“, schlug Connor vor. „Frag ihn.“
„Das kann ich nicht am Telefon machen. Ich muss persönlich mit ihm sprechen. Ich muss sein Gesicht sehen.“
Connor nickte. „Du hast recht.“ Er setzte den Blinker und fuhr dann die Straße am Fluss entlang hoch. „Um wie viel Uhr willst du fahren?“
„Wie bitte?“
„Morgen“, sagte er. „In die Stadt. Ich denke, wir sollten gegen sieben Uhr los. Kannst du so früh fertig sein?“
„Wovon redest du?“, fragte sie.
„Davon, dich zu deinem Vater zu bringen.“
Olivia schaute ihn ungläubig an. „Warum solltest du das tun?“
„Weil ich ein guter Kerl bin. Schon immer gewesen, eine Tatsache, über die wir noch nicht wirklich gesprochen haben.“
„Warte mal. Du willst mich in die Stadt fahren?“
„Gleich morgen früh. Dieses Geheimnis existiert schon so lange, da hat es noch eine weitere Nacht Zeit.“
„Wir lassen einfach alles fallen und fahren in die Stadt?“
Er stützte seine Handballen auf dem Lenkrad auf. „Das ist das Schöne daran, selbstständig zu sein. Man kann einfach alles stehen und liegen lassen.“
„Aber du musst mich nicht fahren. Ich kann doch den Zug nehmen.“
„Nicht dieses Mal.“
Sie wusste nicht, warum er ihr diesen Dienst anbot. Sie hatte sogar beinahe Angst, ihm zu vertrauen. Dennoch wurde ihr leicht ums Herz. „Das ist eine dreistündige Fahrt.“
„Und du glaubst, dass wir nichts finden, worüber wir uns drei Stunden lang unterhalten können?“ Auch wenn er seinen Blick stur auf die Straße gerichtet hielt, konnte sie das Grinsen sehen, das seine Mundwinkel umspielte. „Ich denke, wir haben genug, worüber wir reden können, Lolly.“
Camp Kioga – Traditionen
Camp Kioga ist für junge Menschen im Alter zwischen acht und sechzehn Jahren. Eine der wichtigsten Kioga-Traditionen ist Kontinuität. Camper mit gutem Charakter sind eingeladen, als Betreuer zu arbeiten, sobald sie ihren Highschool-Abschluss haben und in Erster Hilfe und Wasserrettung ausgebildet sind.
19. KAPITEL
Sommer 1997
N ach der Feier zu ihrem Highschool-Abschluss hatte Lolly gemischte Gefühle, wenn sie an die Rückkehr ins Camp Kioga dachte, um dort als Betreuerin zu arbeiten. Aber als Bellamy hatte sie keine große Wahl. Es war eine Familientradition, dass alle Bellamys als Betreuer im Camp arbeiteten, und Lolly bildete da keine Ausnahme.
Vielleicht würde es ja auch gar nicht so schlimm. Nach dem Sommer, in dem sie zwölf geworden war, hatte sie gelernt, das Camp ein bisschen weniger zu hassen. Der Grund dafür konnte in zwei Worten zusammengefasst werden: Connor Davis. Was in diesem ersten Sommer Wurzeln geschlagen hatte, hatte sich zu einer unerwarteten Freundschaft entwickelt, die in den nächsten beiden Sommern noch weiter erblüht war. Auch wenn sie ihn ungehobelt fand und er sagte, sie wäre eine Besserwisserin, hatte es zwischen ihnen irgendwie klick gemacht.
Wenn sie mit ihm zusammen war, beim Wandern, Kajakfahren, beim Frühstücksdienst oder an einem regnerischen Tag im erbitterten Kampf übers Scrabble-Brett gebeugt, war sie einfach nur zufrieden. Mit Connor musste sie sich nicht verstellen. Er erwartete nicht, dass sie gute Noten oder wichtige Freunde hatte oder Preise für ihr Klavierspiel bekam. Er erwartete auch nicht, dass sie den Klassenclown gab. Sie konnte einfach nur sie selbst sein. Einfach nur Lolly.
Die folgenden Sommer – nach der siebten und der achten Klasse – bildeten da keine Ausnahme. Auch wenn sie einander vorsichtig umkreisten und sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen, hatte dieses Aufziehen eine grundsolide Basis, die sich auf gegenseitigem Respekt und unerwarteter Freundschaft gründete.
Es gab keine offensichtlichen Hinweise, dass sie Freunde werden würden. Er war dieser riesige Junge, ein Athlet, dessen schwierige Mutter mit seinem Stiefvater in einem Arbeiterviertel in Buffalo wohnte und dessen Vater
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