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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Jennings jedoch nicht das geringste und fand es somit ganz wunderbar für die Mädchen, daß sie zusammen waren; und gewöhnlich gratulierte sie ihren jungen Freundinnen jeden |269| Abend dazu, der Gesellschaft einer einfältigen alten Frau so lange entronnen gewesen zu sein. Sie kam manchmal bei Sir John und manchmal in ihrem eigenen Haus mit ihnen zusammen; aber wo immer sie hinkam, sie war stets in großartiger Stimmung, voller Freude und wichtiger Nachrichten, schrieb Charlottes Wohlbefinden ihrer eigenen Fürsorge zu und war bereit, eine so genaue, so ins einzelne gehende Darstellung von deren Zustand zu geben, daß allein Miss Steeles Neugier groß genug war, dies auch hören zu wollen. Eine Sache jedoch beunruhigte sie, und darüber beklagte sie sich täglich: Mr.   Palmer blieb bei der üblichen, doch eines Vaters unwürdigen Meinung seines Geschlechts, daß alle Säuglinge gleich aussähen; und obgleich sie selbst zu verschiedenen Zeiten eindeutig die verblüffendste Ähnlichkeit zwischen diesem Baby und jedem seiner beiderseitigen Angehörigen erkennen konnte, war es nicht möglich, seinen Vater ebenfalls davon zu überzeugen, und auch nicht, ihn zu der Erkenntnis zu bringen, daß es
nicht
allen anderen Babys gleichen Alters glich; und er konnte nicht einmal dazu bewogen werden, die schlichte Behauptung zu bestätigen, daß es das prächtigste Kind der Welt sei.
    Ich komme nun zu dem Bericht über ein Unglück, das etwa zu dieser Zeit Mrs.   John Dashwood widerfuhr. Es traf sich, daß, während ihre beiden Schwägerinnen sie mit Mrs.   Jennings das erste Mal in Harley Street besuchten, auch noch eine Bekannte von ihr vorbeigekommen war – ein Umstand, der ihr an sich eigentlich kaum Unheil bringen konnte. Doch wenn sich andere Leute von ihrer Einbildungskraft dazu hinreißen lassen, sich ein falsches Urteil über unser Verhalten zu bilden, und aus einem flüchtigen Anschein ihre Schlüsse zu ziehen, muß das Glück eines Menschen stets der Gnade des Zufalls ausgeliefert sein. In dem gegenwärtigen Fall ließ die Phantasie dieser zuletzt eingetroffenen Dame Wahrheit und Wahrscheinlichkeit so weit außer acht, daß sie, als sie nur den Namen der Misses Dashwood hörte und erfuhr, daß sie Mr.   Dashwoods Schwestern seien, sofort schloß, daß sie sich in Harley Street aufhielten; und diese falsche Deutung veranlaßte |270| sie, ein paar Tage danach den beiden sowie ihrem Bruder und ihrer Schwägerin Einladungskarten zu einem kleinen musikalischen Abend in ihrem Haus zu schicken. Die Folge davon war, daß sich Mrs.   Dashwood nicht nur genötigt sah, sich der ungemein lästigen Notwendigkeit zu unterziehen, den Misses Dashwood ihre Kutsche zu schicken, sondern, was noch schlimmer war, sich auch noch den ganz unerfreulichen Anschein zu geben, sie würde sie mit Aufmerksamkeit behandeln; und wer konnte sagen, ob sie nicht vielleicht erwarten würden, ein zweites Mal mit ihr ausgehen zu können? Es war richtig, daß sie stets die Macht haben mußte, sie zu enttäuschen. Aber das war nicht genug, denn wenn jemand zu einer Verhaltensweise entschlossen ist, von der er doch
weiß
, daß sie falsch ist, fühlt er sich verletzt, wenn man Besseres von ihm erwartet.
    Marianne war nun nach und nach soweit zu täglichen Ausfahrten bewogen worden, daß es ihr schließlich gleichgültig war, ob sie mitging oder nicht; und sie machte sich für jede abendliche Einladung ruhig und mechanisch fertig, doch ohne das geringste Vergnügen davon zu erwarten, und sehr oft auch ohne bis zum letzten Augenblick überhaupt zu wissen, wohin es ging.
    Ihre Kleidung und ihr Aussehen waren ihr so absolut gleichgültig geworden, daß sie ihnen während ihres ganzen Toilettemachens nicht halb soviel Beachtung schenkte, wie es Miss Steele in den ersten fünf Minuten ihres Zusammenseins tat. Deren genauester Beobachtung und allgemeiner Neugier entging nichts; sie sah alles und fragte nach allem, hatte nie Ruhe, bis sie nicht von allen Einzelheiten von Mariannes Kleidung den Preis kannte; sie konnte die Zahl von Mariannes gesamten Kleidern besser schätzen als Marianne selbst, und sie war nicht ohne Hoffnung, noch bevor sie sich wieder trennten, herauszubekommen, wieviel sie pro Woche für die Wäsche zahlte und wieviel sie jedes Jahr für sich selbst zur Verfügung hatte. Dieses ungehörige Ausfragen fand überdies gewöhnlich seinen Abschluß mit einem Kompliment, das zwar freundlich gemeint war, doch von Marianne als die größte |271|

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