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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht so freundlich angesehen hätte – Sie wissen, was ich meine   –, wenn ich so zurückweisend behandelt worden wäre, hätte ich vor Verzweiflung alles aufgegeben |262| . Ich hätte es nicht ertragen können. Denn wenn sie wirklich eine Abneigung gegen jemand hat, dann ist es auch eine sehr starke, das weiß ich.«
    Elinor wurde an einer Antwort auf diesen Triumph gehindert, da die Tür von dem Diener aufgestoßen wurde, der Mr.   Ferrars meldete, und Edward sofort hereinkam.
    Es war ein sehr peinlicher Augenblick, und ihre Mienen zeigten das auch. Sie machten alle ein überaus törichtes Gesicht; und Edward schien sehr viel mehr geneigt, sich gleich wieder zurückzuziehen, als weiter hereinzukommen. Genau in die Situation, in ihrer unangenehmsten Form, die jeder der drei um alles in der Welt hätte vermeiden wollen, waren sie nun hineingeraten – sie waren nicht nur alle drei beisammen, sondern sie waren es auch ohne jede Erleichterung durch die Anwesenheit einer anderen Person. Die Damen faßten sich zuerst. Es war nicht Lucys Sache, sich vorzudrängen, denn der Anschein der Geheimhaltung mußte noch immer gewahrt werden. Sie konnte deshalb ihre Zärtlichkeit nur mit Blicken ausdrücken, und nachdem sie Edward nur flüchtig begrüßt hatte, sagte sie nichts weiter.
    Doch Elinor mußte mehr tun; und so sehr war sie seinet- und ihretwegen darauf bedacht, es gut zu tun, daß sie sich nach einem Augenblick der Sammlung zwang, ihn mit einem Blick und in einer Weise zu begrüßen, die beinahe unbeschwert und freimütig schienen; und ein weiteres Ringen, eine weitere Anstrengung machten es noch glaubwürdiger. Sie wollte sich weder durch die Gegenwart Lucys noch durch das Bewußtsein einer Ungerechtigkeit ihr selbst gegenüber davon abhalten lassen, ihm zu sagen, daß sie sich sehr freue, ihn zu sehen, und daß sie es sehr bedauert habe, nicht zu Hause gewesen zu sein, als er in Berkeley Street vorgesprochen hatte. Sie wollte sich nicht durch den wachsamen Blick Lucys abschrecken lassen, ihm jene Aufmerksamkeiten zu schenken, die ihm als Freund und beinahe Verwandten zukamen, wenn sie auch bald bemerkte, wie sie von ihr genau beobachtet wurde.
    Ihr Verhalten gab ihm wieder ein gewisses Gefühl der |263| Sicherheit, und er fand den Mut, sich zu setzen; aber seine Verlegenheit übertraf die der Damen noch in einem Maße, das in dem Fall durchaus verständlich, wenngleich bei einem Mann eher selten, war; denn sein Herz hatte nicht die Gleichgültigkeit Lucys, auch konnte sein Gewissen nicht ganz so ruhig sein wie Elinors.
    Lucy, mit gelassener, gesetzter Miene, schien entschlossen, nichts zur Erleichterung der beiden anderen beizutragen, und sagte kein Wort; fast alles, was gesagt wurde, bestritt Elinor, die genötigt war, ihn unaufgefordert über die Gesundheit ihrer Mutter, darüber, wie sie nach London gekommen waren, und dergleichen zu informieren, wonach Edward sich hätte erkundigen sollen, es aber nicht tat.
    Ihre Bemühungen gingen sogar noch weiter; denn bald darauf faßte sie sogar den heroischen Entschluß, die beiden anderen unter dem Vorwand, Marianne zu holen, allein zu lassen; und das tat sie dann auch wirklich, und zwar in der großmütigsten Weise, denn sie ließ sich mehrere Minuten lang mit den hochsinnigsten Absichten auf dem Treppenabsatz Zeit, bevor sie zu ihrer Schwester ging. Doch als sie das einmal getan hatte, war es Zeit, daß Edwards Verzückungen aufhörten, denn Mariannes Freude ließ sie sofort in den Salon eilen. Ihr Vergnügen, ihn zu sehen, war wie alle ihre Gefühle stark als solches und stark zum Ausdruck gebracht. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die ergriffen werden wollte, und begrüßte ihn mit einer Stimme, in der die Zuneigung einer Schwester lag.
    »Lieber Edward!« rief sie, »das ist ein sehr glücklicher Augenblick! – Das kann beinahe für alles entschädigen!«
    Edward versuchte, ihre Freundlichkeit zu erwidern, wie sie es verdiente, aber vor einer solchen Zeugin wagte er nicht annähernd, das zu sagen, was er empfand. Wieder setzten sich alle, und ein paar Augenblicke sagte niemand etwas, währenddessen Marianne mit der sprechendsten Zärtlichkeit einmal Edward und einmal Elinor ansah und nur bedauerte, daß deren Freude aneinander durch Lucys unwillkommene Gegenwart gehemmt wurde. Edward war der erste, der sprach, denn |264| er bemerkte Mariannes verändertes Aussehen und drückte seine Befürchtung aus, daß ihr London offenbar nicht bekomme.
    »Oh, denken Sie

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