Verstand und Gefühl
Aber Charlotte wollte sich nicht zufriedengeben, also wurde nach Mr. Donavan geschickt; zum Glück war er zufällig gerade von Harley Street nach Hause gekommen; er kam gleich herüber, und sobald er das Kind nur sah, sagte er genau dasselbe wie wir, daß es nur Schweißblattern seien, |278| und dann war Charlotte beruhigt. Und als er gerade wieder gehen wollte, kam es mir in den Sinn – ich weiß wirklich nicht, wie ich darauf gekommen bin, aber es kam mir in den Sinn, ihn zu fragen, ob es etwas Neues gäbe. Und daraufhin griente er und wand sich, machte dann ein ernstes Gesicht und schien irgend etwas zu wissen; und schließlich sagte er im Flüsterton: ›Aus Furcht, eine unangenehme Nachricht könnte die jungen Damen in Ihrer Obhut über die Unpäßlichkeit Ihrer Schwägerin erreichen, halte ich es für ratsam, Ihnen zu sagen, daß es keinen wirklichen Grund zur Besorgnis gibt; ich hoffe, Mrs. Dashwood wird es bald wieder sehr gutgehen.‹«
»Was, ist Fanny krank?«
»Genau das habe ich auch gefragt, meine Liebe. ›Du Lieber Gott‹, habe ich gesagt, ›ist Mrs. Dashwood krank?‹ Und dann kam alles heraus; kurz und gut, nach allem, was ich erfahren konnte, scheint es um folgendes zu gehen: Mr. Edward Ferrars, genau der junge Mann, mit dem ich Sie immer aufgezogen habe – (aber nach dem, was sich jetzt herausgestellt hat, bin ich mächtig froh, daß da nie etwas dran war) –, Mr. Ferrars also ist schon länger als ein Jahr mit meiner eigenen Verwandten – Lucy – verlobt! – Was sagen Sie dazu, meine Liebe!– Und kein Mensch hat ein Wort davon gewußt, außer Nancy! Hätten Sie so etwas für möglich gehalten? Es ist ja kein großes Wunder, daß sie einander gern haben, aber daß die Sache so weit gediehen war zwischen ihnen, und keiner hat’s gewußt – das ist wirklich seltsam! Ich habe sie ja nie zusammen gesehen, sonst hätte ich das doch bestimmt gleich rausgefunden. Na, und es wurde schließlich vollkommen geheimgehalten aus Furcht vor Mrs. Ferrars; und weder sie noch Ihr Bruder oder Ihre Schwägerin haben von der Sache etwas geahnt – bis heute vormittag, bis die arme Nancy, die, wie Sie wissen, ein wohlmeinendes Geschöpf ist, aber nicht gerade das Pulver erfunden hat, mit allem herausplatzte. ›Du lieber Himmel‹, dachte sie sich, ›sie haben Lucy alle so gern, bestimmt werden sie keine Schwierigkeiten deswegen machen‹; also ging sie zu Ihrer Schwägerin, die ganz allein bei ihrer Teppichknüpferei |279| saß, ohne zu ahnen, was nun kommen würde – denn sie hatte gerade fünf Minuten vorher zu Ihrem Bruder gesagt, daß sie daran dachte, eine Heirat zwischen Edward und der Tochter von irgendeinem Lord – ich habe vergessen, von welchem – zu vermitteln. Sie können sich also denken, was das für ein Schlag war für all ihre Eitelkeit und ihren Stolz. Sie bekam sofort einen heftigen hysterischen Anfall und schrie so, daß Ihr Bruder es hörte, der unten in seinem Ankleidezimmer saß und gerade einen Brief an seinen Verwalter auf dem Land schreiben wollte. Sofort stürmte er nach oben, wo sich eine schreckliche Szene abspielte, denn Lucy war, ohne im geringsten zu ahnen, was los war, inzwischen herbeigekommen. Die Ärmste! Sie tut mir leid. Und ich muß schon sagen, Ihre Schwägerin ging sehr hart mit ihr um, denn sie fiel, wie eine Furie schimpfend, über sie her und trieb sie bald in einen Ohnmachtsanfall. Nancy fiel auf die Knie und weinte bitterlich; und Ihr Bruder lief im Zimmer hin und her und sagte, er wisse nicht, was er tun solle. Mrs. Dashwood erklärte, daß sie nicht eine Minute länger im Haus bleiben sollten, und Ihr Bruder war genötigt, ebenfalls auf die Knie zu gehen, um sie zu bewegen, die Mädchen wenigstens so lange bleiben zu lassen, bis sie ihre Sachen gepackt hätten. Dann bekam sie wieder einen hysterischen Anfall, und er war so erschrocken, daß er nach Mr. Donavan schickte, und Mr. Donavan fand dann das Haus in diesem ganzen Aufruhr vor. Die Kutsche stand an der Tür bereit, um meine armen Verwandten wegzubringen, und sie stiegen gerade ein, als er herauskam; die arme Lucy konnte kaum laufen, in einem solchen Zustand war sie, sagte er, und Nancy ging es fast genauso schlecht. Ich muß sagen, ich habe für Ihre Schwägerin überhaupt nichts übrig, und ich hoffe von ganzem Herzen, daß es nun gerade zu einer Heirat kommt. Du lieber Himmel, in welche Aufregung der arme Mr. Edward geraten wird, wenn er davon hört! Seinen
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