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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Erregung oder leidenschaftlichem Kummer |282| begleitet. Das war vielmehr die Sache der Zuhörerin, denn Marianne vernahm alles mit Entsetzen und weinte heftig. Elinor mußte bei all ihrem eigenen Kummer auch noch die Trösterin anderer sein; und der ganze Trost, den sie durch die Versicherung ihrer eigenen Gefaßtheit und einer sehr ernsthaften Verteidigung Edwards gegen jeglichen Vorwurf außer den der Unklugheit spenden konnte, wurde bereitwillig gegeben.
    Doch Marianne wollte eine Zeitlang nichts gelten lassen. Edward schien ein zweiter Willoughby zu sein; und da Elinor doch zugab, daß sie ihn ganz aufrichtig geliebt habe – wie konnte sie da weniger fühlen als sie selbst! Was Lucy Steele anging, so war sie in ihren Augen so absolut unliebenswürdig, so völlig unfähig, einen vernünftigen Mann für sich einzunehmen, daß sie zuerst nicht zu überzeugen war, an eine frühere Zuneigung Edwards zu ihr zu glauben und sie ihm dann zu verzeihen. Sie wollte nicht einmal zugeben, daß sie doch ganz natürlich gewesen war; und Elinor überließ es ihr schließlich, sich durch das einzige überzeugen zu lassen, was Überzeugung herbeiführen konnte – eine bessere Menschenkenntnis.
    Ihre Eröffnung war zu Anfang nicht weiter gediehen als bis zu der Tatsache von Edwards Verlobung und ihrer Dauer. Dann war Marianne von ihren Gefühlen überwältigt worden, was jedem geordneten Bericht der Umstände ein Ende machte; und eine Zeitlang konnte Elinor nichts tun, als zu versuchen, ihren Kummer zu besänftigen, ihre Besorgnis zu verringern und gegen ihren Groll anzukämpfen. Ihre erste Frage, die zu weiteren Einzelheiten führte, war: »Wie lange hast du das schon gewußt, Elinor? Hat er es dir geschrieben?«
    »Ich habe es während der ganzen letzten vier Monate gewußt. Gleich als Lucy im November nach Barton Park kam, hat sie mir im Vertrauen von ihrer Verlobung erzählt.«
    Bei diesen Worten drückte Mariannes Blick ein Erstaunen aus, wie es ihre Lippen nicht hervorzubringen vermochten. Und nach einer Pause sprachloser Verwunderung rief sie aus: »Vier Monate! Du weißt das schon vier Monate lang?«
    |283| Elinor bestätigte es.
    »Wie – während du dich in all meinem Elend um mich gesorgt hast, lag dir
das
auf der Seele? Und ich habe dir vorgeworfen, daß du doch glücklich seist!«
    »Es war nicht angebracht, dich zu der Zeit wissen zu lassen, wie sehr das Gegenteil davon richtig war.«
    »Vier Monate!« rief Marianne wieder. »So ruhig! So heiter! Was hat dich so stark sein lassen?«
    »Das Gefühl, daß es meine Pflicht war. Mein Versprechen Lucy gegenüber zwang mich, es geheimzuhalten. Ich war es ihr deshalb schuldig, jede Andeutung der Wahrheit zu vermeiden; und ich schuldete es meiner Familie und meinen Freunden, bei ihnen keine Sorge um mich hervorzurufen, die ich ihnen nicht hätte nehmen können.«
    Marianne war offenbar sehr beeindruckt.
    »Ich habe oft gewünscht, dich und unsere Mutter aufzuklären«, fügte Elinor hinzu, »und ein paarmal habe ich es versucht, aber ohne das mir Anvertraute zu offenbaren, hätte ich euch niemals überzeugen können.«
    »Vier Monate! Und doch hast du ihn geliebt!«
    »Ja, aber ich habe nicht nur ihn geliebt; und da mir auch das Wohlergehen anderer am Herzen lag, war ich froh, ihnen das Wissen darum, wie sehr ich litt, ersparen zu können. Nun kann ich ohne viel Erregung daran denken und davon sprechen. Ich wollte nicht, daß du meinetwegen leidest, denn ich versichere dir, daß ich jetzt selbst nicht mehr sehr leide. Es gibt viele Dinge, die mich stärken. Ich bin mir bewußt, daß ich die Enttäuschung nicht durch eigene Unbesonnenheit heraufbeschworen habe, und ich habe es soweit wie möglich ertragen, ohne es andere fühlen zu lassen. Ich spreche Edward im wesentlichen frei von jedem falschen Verhalten. Ich wünsche ihm, daß er sehr glücklich wird, und ich bin so sicher, daß er stets seine Pflicht tun wird und trotz einigen Bedauerns, das er nun noch hegen mag, es am Ende auch werden muß. Lucy mangelt es nicht an Vernunft, und das ist die Grundlage, aus der sich alles Gute ergeben kann. Und schließlich, Marianne, nach allem, was an der Vorstellung einer einzigen |284| , beständigen Liebe bestrickend ist und was über das Glück gesagt werden kann, das ganz und gar von einer bestimmten Person abhängt, so ist es im Grunde nicht richtig – es ist nicht möglich – es kann nicht sein. Edward wird Lucy heiraten; er wird eine Frau heiraten, die in ihrer Erscheinung

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