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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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und Intelligenz der Hälfte ihres Geschlechts überlegen ist; und Zeit und Gewohnheit werden ihn vergessen lassen, daß es jemals eine andere gab, die er
ihr
überlegen geglaubt hatte.«
    »Wenn du so denkst«, sagte Marianne, »wenn der Verlust dessen, was einem am teuersten ist, so leicht durch etwas anderes zu ersetzen ist, dann sind deine Entschlossenheit und deine Selbstbeherrschung vielleicht etwas weniger zu verwundern. Dann kann ich sie vielleicht auch eher verstehen.«
    »Ich sehe, was du meinst. Du glaubst nicht, daß ich jemals viel empfunden habe. Vier Monate lang, Marianne, hat mir all das auf der Seele gelegen, ohne daß ich zu einem einzigen Menschen darüber sprechen durfte – während ich wußte, daß es dich und unsere Mutter sehr unglücklich machen würde, wann immer ich es euch erklärte, und ich doch nicht im mindesten imstande war, euch darauf vorzubereiten. Es wurde mir erzählt, gewissermaßen aufgezwungen von gerade der Person, deren vorherige Verlobung mit Edward alle meine Aussichten zunichte machte; und das geschah, wie mir schien, voller Triumph. Dem Argwohn dieser Person mußte ich deshalb begegnen, indem ich mich bemühte, gleichgültig zu erscheinen, wo ich zutiefst interessiert war. Und das war nicht nur einmal so; ich mußte mir ihre Hoffnungen und ihr Frohlocken wieder und wieder anhören. Ich wußte, daß ich für immer von Edward getrennt sein würde, ohne auch nur von einem einzigen Umstand zu hören, der mich eine Verbindung mit ihm hätte weniger wünschen lassen können. Nichts hat ihn als unwürdig erwiesen, auch hat er sich in keiner Weise mir gegenüber gleichgültig gezeigt. Ich habe mich gegen die Herzlosigkeit seiner Schwester und die Unverschämtheit seiner Mutter behaupten müssen und habe die Bestrafung für eine Liebe erdulden müssen, ohne mich ihrer Vorzüge zu erfreuen. Und all das hat sich zu einer Zeit abgespielt |285| , als ich nicht nur deshalb unglücklich war, wie du nur zu gut weißt. Wenn du mich jemals imstande glaubst zu fühlen – dann kannst du gewiß annehmen, daß ich da gelitten habe. Die Gefaßtheit, mit der ich mich nun dazu überwunden habe, die Sache zu betrachten, der Trost, den ich schließlich zugelassen habe, sind das Ergebnis ständiger schmerzlicher Bemühungen; sie sind nicht von selbst gekommen; sie waren nicht gleich da, um mir Erleichterung zu verschaffen – nein, Marianne. Wenn ich nicht zu schweigen verpflichtet gewesen wäre, dann hätte mich vielleicht nichts vollständig davon abhalten können – nicht einmal das, was ich meinen liebsten Angehörigen schuldete   –, offen zu zeigen, daß ich
sehr
unglücklich war.«
    Marianne war ganz bezwungen.
    »Oh, Elinor«, rief sie, »ich muß mich deinetwegen für immer hassen. Wie grausam bin ich zu dir gewesen! Zu dir, die du mein einziger Trost warst, die du mich geduldig ertragen hast während all meines Elends, die du nur meinetwegen zu leiden schienst! Ist dies mein Dank? Ist das alles, womit ich das vergelten kann? Weil dein Verdienst ein ständiger Vorwurf für mich ist, habe ich versucht, es abzutun.«
    Die zärtlichsten Liebkosungen folgten diesem Bekenntnis. In einem solchen Gemütszustand, in dem sich Marianne nun befand, hatte Elinor keine Schwierigkeiten, jedes Versprechen von ihr zu erhalten, das sie wünschte; und auf ihre Bitte verpflichtete sie sich, über diese Sache niemals mit dem geringsten Anschein von Bitterkeit zu jemand zu sprechen – Lucy zu begegnen, ohne zu zeigen, daß ihre Abneigung ihr gegenüber auch nur im geringsten größer geworden war – und selbst Edward – falls der Zufall sie zusammenführen sollte – ohne jede Schmälerung ihrer gewöhnlichen Herzlichkeit zu begegnen. Dies waren bedeutende Zugeständnisse, doch wo Marianne fühlte, daß sie jemand verletzt hatte, konnte ihr keine Wiedergutmachung zuviel sein.
    Sie erfüllte ihr Versprechen, besonnen zu sein, auf bewundernswürdige Weise. Sie hörte sich alles, was Mrs.   Jennings zu diesem Thema zu sagen hatte, mit stets gleichbleibender |286| Miene an, äußerte keine andere Meinung, und man hörte sie dreimal sagen: »Ja, Ma’am.« Sie hörte ihrem Lob Lucys zu und wechselte dabei nur ihren Platz; und als Mrs.   Jennings von Edwards Liebe sprach, mußte sie lediglich einmal kräftig schlucken. Solche Fortschritte an Heldenhaftigkeit bei ihrer Schwester gaben Elinor das Gefühl, nun selbst allem gewachsen zu sein.
    Der nächste Morgen brachte eine weitere Prüfung für Marianne, und

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