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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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zwar durch den Besuch ihres Bruders, der mit tiefernster Miene kam, um diese schreckliche Angelegenheit mit ihnen zu besprechen und ihnen einen neuen Bericht über seine Gattin zu bringen.
    »Ich nehme an«, sagte er mit feierlichem Ernst, sobald er sich gesetzt hatte, »ihr habt von der äußerst schockierenden Enthüllung gehört, die sich gestern unter unserem Dach zugetragen hat.«
    Sie alle nickten zustimmend, es schien ein zu schrecklicher Augenblick, um zu sprechen.
    »Eure Schwägerin«, fuhr er fort, »hat schrecklich gelitten. Mrs.   Ferrars ebenfalls – kurz gesagt, es hat sich eine höchst verwickelte schmerzliche Szene abgespielt; aber ich will hoffen, daß wir den Sturm überstehen können, ohne daß wir – daß jemand von uns Schaden davon nimmt. Arme Fanny, sie litt gestern den ganzen Tag unter hysterischen Anfällen. Aber das muß euch nicht zu sehr erschrecken. Donavan sagt, es sei nichts Wesentliches zu befürchten; sie hat eine gute Konstitution, und ihre Entschlossenheit läßt sie mit allem fertigwerden. Sie hat das alles mit der Seelenstärke eines Engels ertragen! Sie sagt, sie wird niemals wieder eine gute Meinung von jemand haben; und das ist nicht zu verwundern, nachdem sie so getäuscht worden ist! Eine solche Undankbarkeit zu erleben, wo sie den beiden so viel Freundlichkeit erwiesen, so viel Vertrauen entgegengebracht hat. Es entsprang ganz ihrem wohlwollenden Herzen, daß sie diese jungen Mädchen in ihr Haus eingeladen hatte; allein weil sie meinte, sie verdienten einige Aufmerksamkeit, seien unschuldige, wohlerzogene Mädchen und angenehme Gefährtinnen; denn sonst |287| hätten wir beide sehr gern dich und Marianne zu uns eingeladen, während eure gütige Freundin ihre Tochter pflegte. Und nun so belohnt zu werden! ›Ich wünschte von ganzem Herzen‹, sagte die arme Fanny in ihrer liebevollen Art, ›wir hätten an ihrer Stelle deine Schwestern eingeladen.‹«
    Hier hielt er inne, um ihren Dank entgegenzunehmen; und nachdem dies geschehen war, fuhr er fort: »Was die arme Mrs.   Ferrars litt, als Fanny ihr dies eröffnete, ist nicht zu beschreiben. Während sie in ihrer so großen Liebe eine geeignete Verbindung für ihn geplant hatte, konnte man da vermuten, daß er all die Zeit mit einer anderen Person verlobt war! Ein solcher Verdacht wäre ihr doch nie in den Sinn gekommen! Wenn sie irgendeine frühere Verbindung vermutet hätte, dann doch nicht aus dieser Richtung. ›
Von dort
‹, sagte sie, ›glaubte ich mich bestimmt sicher.‹ Sie war völlig verzweifelt. Doch wir besprachen zusammen, was zu tun sei, und am Ende beschloß sie, nach Edward zu schicken. Er kam. Aber es tut mir leid, euch berichten zu müssen, was dabei herauskam. Was immer Mrs.   Ferrars vorbringen konnte, um ihn zu bewegen, die Verlobung aufzulösen – auch, wie du dir denken kannst, mit Hilfe meiner Argumente und Fannys dringender Bitten   –, es war vergebens. Pflicht, Liebe, über alles setzte er sich hinweg. Ich hätte nie geglaubt, daß Edward so halsstarrig, so gefühllos sein kann. Seine Mutter erklärte ihm ihre großzügigen Absichten für den Fall, daß er Miss Morton heirate; sie sagte, sie würde ihm das Gut in Norfolk überschreiben, das frei von Grundsteuern ist und gute tausend Pfund im Jahr einbringen würde; sie bot ihm sogar an, wenn es dringend nötig würde, dies auf zwölfhundert zu erhöhen. Doch für den Fall, daß er noch immer auf dieser niederen Verbindung bestehe, führte sie ihm die sichere Armut vor Augen, die diese Heirat zur Folge haben würde. Seine eigenen zweitausend Pfund, beteuerte sie, würden alles sein, was er besitze; sie würde ihn nie wiedersehen wollen; und so wenig würde sie daran denken, ihm auch nur die kleinste Hilfe zu gewähren, daß sie, sollte er um eines besseren Einkommens willen irgendeinen Beruf ergreifen wollen, |288| sogar alles in ihrer Macht Stehende tun würde, um sein Fortkommen darin zu verhindern.«
    Hier schlug Marianne, außer sich vor Empörung, die Hände zusammen und rief: »Großer Gott, ist denn so etwas möglich!«
    »Du kannst dich sehr wohl wundern, Marianne«, erwiderte ihr Bruder, »über eine Halsstarrigkeit, die solchen Argumenten widerstehen konnte. Dein Protest ist ganz natürlich.«
    Marianne wollte gerade scharf darauf antworten, doch sie erinnerte sich an ihr Versprechen und unterließ es.
    »Doch all das«, fuhr er fort, »wurde ihm vergeblich vor Augen geführt. Edward sagte sehr wenig, aber was er sagte, das

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