Verstand und Gefühl
brachte er mit größter Entschiedenheit vor. Nichts könnte ihn dazu bringen, seine Verlobung aufzugeben. Er würde dazu stehen, koste es ihn, was es wolle.«
»Dann hat er«, rief Mrs. Jennings, nicht länger imstande zu schweigen, mit unverblümter Aufrichtigkeit, »wie ein redlicher Mann gehandelt. Verzeihen Sie, Mr. Dashwood, aber wenn er anders gehandelt hätte, dann wäre er in meinen Augen ein Schurke gewesen. Ich habe, ebenso wie Sie, ein wenig Interesse an der Sache, denn Lucy ist meine Verwandte, und ich glaube, es gibt kein besseres Mädchen auf der Welt als sie, und auch keins, das mehr als sie einen guten Mann verdient.«
John Dashwood war völlig verblüfft; aber er war von ruhiger Gemütsart und ließ sich nicht leicht aufbringen; und er wollte niemals jemand beleidigen, schon gar nicht jemand, der vermögend war. Er erwiderte deshalb ohne jeden Groll: »Ich würde niemals über eine Verwandte von Ihnen respektlos sprechen, Madam. Miss Lucy Steele ist gewiß ein sehr verdienstvolles junges Mädchen, aber in diesem Fall, wissen Sie, ist eine Verbindung ganz ausgeschlossen. Und eine heimliche Verlobung mit einem jungen Mann einzugehen, der sich unter der Obhut ihres Onkels befand, besonders wo es sich um den Sohn einer Frau von so großem Vermögen wie Mrs. Ferrars’ handelt, ist vielleicht im ganzen gesehen etwas ungewöhnlich. Jedenfalls ist es nicht meine Absicht, mich über das |289| Verhalten einer Person, die Sie schätzen, abfällig zu äußern, Mrs. Jennings. Wir alle wünschen, daß sie sehr glücklich wird, und Mrs. Ferrars hat sich während der ganzen Sache so verhalten, wie es auch jede andere gewissenhafte gute Mutter unter ähnlichen Umständen getan hätte. Sie handelte würdig und großzügig. Edward hat sein eigenes Los gewählt, und ich fürchte, es wird ein schlechtes sein.«
Marianne brachte mit einem Seufzer zum Ausdruck, daß sie ähnliche Befürchtungen hegte; und Elinor tat es in der Seele weh, wenn sie an Edwards Gefühle dachte, während er den Drohungen seiner Mutter für eine Frau die Stirn bot, die es ihm nicht vergelten konnte.
»Nun, Sir«, sagte Mrs. Jennings, »und wie endete die Sache?«
»Leider muß ich sagen, Ma’am, mit einem höchst unglücklichen Bruch. Edward ist für immer aus den Augen seiner Mutter verbannt. Er verließ gestern ihr Haus, aber wohin er gegangen ist und ob er noch in der Stadt ist, weiß ich nicht; denn
wir
können uns natürlich nicht danach erkundigen.«
»Der arme junge Mann! Und was soll nun aus ihm werden?«
»Ja, was, in der Tat, Ma’am! Das ist ein trauriger Gedanke. Geboren mit der Aussicht auf einen solchen Wohlstand! Ich kann mir keine Lage vorstellen, die beklagenswerter wäre. Die Zinsen von zweitausend Pfund – wie kann man davon leben! Und wenn man dann noch daran denkt, daß er, wäre er nicht so töricht gewesen, in drei Monaten zweitausendfünfhundert im Jahr hätte haben können (denn Miss Morton besitzt dreißigtausend Pfund), dann kann ich mir keine elendere Situation vorstellen. Wir müssen alle mit ihm fühlen, und um so mehr, da es überhaupt nicht in unserer Macht liegt, ihm zu helfen.«
»Armer junger Mann!« rief Mrs. Jennings, »auf jeden Fall wird ihm in meinem Haus sehr gern Unterkunft und Verpflegung gewährt, und das würde ich ihm auch sagen, wenn ich ihn zu sehen bekäme. Es ist nicht in Ordnung, daß er jetzt auf eigene Kosten in gemieteten Zimmern und Gasthäusern leben soll.«
Elinor dankte ihr in ihrem Herzen für eine solche Güte |290| Edward gegenüber, wenn sie auch lächeln mußte über die Form ihres Angebots.
»Hätte er nur an sich selbst so gut gehandelt«, sagte John Dashwood, »wie alle seine Angehörigen es tun wollten, dann hätte er sich jetzt in einer ihm gebührenden Lage befunden, und es hätte ihm an nichts gefehlt. Aber wie die Sache liegt, ist es niemandem möglich, ihm zu helfen. Und es gibt noch etwas anderes, auf das er sich gefaßt machen muß, und das dürfte schlimmer sein als alles andere – seine Mutter hat aus einer sehr natürlichen Stimmung heraus beschlossen,
das
Gut, das unter normalen Bedingungen Edward hätte gehören können, sofort auf Robert zu überschreiben. Als ich sie heute morgen verließ, war der Anwalt bei ihr, mit dem sie die Angelegenheit besprach.«
»Na«, sagte Mrs. Jennings, »das ist eben
ihre
Rache. Jeder auf seine Art. Aber meine Sache wäre es bestimmt nicht, nur weil mich der eine Sohn geärgert hat, den anderen
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