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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dafür unabhängig zu machen.«
    Marianne stand auf und ging im Zimmer umher.
    »Kann es denn für einen Mann etwas geben, das noch bitterer ist«, fuhr John fort, »als seinen jüngeren Bruder im Besitz eines Gutes zu sehen, das sein eigenes hätte sein können? Armer Edward, er tut mir aufrichtig leid.«
    Nach ein paar weiteren Minuten ähnlicher Herzensergüsse beendete er seinen Besuch; und mit wiederholten Versicherungen gegenüber seinen Schwestern, daß er wirklich glaube, Fannys Unpäßlichkeit berge keine wesentliche Gefahr, und daß sie deshalb nicht sehr beunruhigt zu sein brauchten, ging er schließlich und ließ die Damen einmütig in ihrer Meinung zu diesem Ereignis zurück, zumindest soweit es das Verhalten Mrs.   Ferrars’, der Dashwoods und Edwards betraf.
    Mariannes Empörung brach hervor, sobald er hinausgegangen war; und da ihre leidenschaftlichen Äußerungen bei Elinor Zurückhaltung unmöglich und bei Mrs.   Jennings unnötig machten, stimmten sie alle in eine sehr lebhafte Kritik über die ganze Gesellschaft ein.

|291| Kapitel 38
    Mrs.   Jennings pries Edwards Verhalten mit großer Wärme, doch nur Elinor und Marianne waren sich seines wahren Verdienstes ganz bewußt. Nur sie wußten, wie wenig es gewesen war, das ihn dazu verleitet hatte, ungehorsam zu sein, und wie gering der Trost, außer dem Bewußtsein, recht zu tun, war, der ihm bei dem Verlust von Angehörigen und Vermögen bleiben konnte. Elinor frohlockte über seine Rechtschaffenheit, und Marianne vergab ihm alle seine Vergehen aus Mitleid für seine Bestrafung. Doch obgleich das Vertrauen zwischen den Schwestern durch diese öffentliche Enthüllung vollkommen wiederhergestellt war, war dies ein Thema, bei dem keine der beiden gern verweilte, wenn sie allein waren. Elinor vermied es aus Prinzip, da die zu leidenschaftlichen, zu positiven Versicherungen Mariannes nur dazu führen würden, ihren eigenen Glauben an Edwards fortdauernde Liebe zu ihr noch mehr in ihren Gedanken zu festigen, was sie doch vielmehr zu verhindern wünschte; und Marianne verließ bald der Mut, über ein Thema zu sprechen, das sie durch den Vergleich, den es unvermeidlich zwischen Elinors Verhalten und dem ihren hervorrief, jedesmal noch unzufriedener mit sich selbst machte.
    Sie empfand die ganze Wirkung dieses Vergleichs, doch folgte daraus nicht, wie ihre Schwester es gehofft hatte, daß er sie nun anspornte, sich beherrschen zu lernen; sie empfand ihn mit der ganzen Qual des Selbstvorwurfs, bedauerte bitter, daß sie sich niemals zuvor bemüht hatte, sich zu beherrschen, aber es brachte ihr nur die Qualen der Reue, ohne Hoffnung auf Besserung. Ihr Gemüt war so geschwächt, daß sie ein solches Bestreben immer noch für unmöglich hielt, und so machte sie das nur noch mutloser.
    |292| In den nächsten zwei Tagen hörten sie nichts Neues über die Angelegenheiten in Harley Street und Bartlett’s Buildings. Doch obgleich sie bereits so viel über die Sache wußten, daß Mrs.   Jennings genug damit zu tun haben mochte, diese Kenntnisse weiterzuverbreiten, ohne sich um mehr zu bemühen, hatte sie von Anfang an beschlossen, sobald es ihr möglich war, ihren beiden Verwandten einen Besuch abzustatten, um sie zu trösten und sich nach weiterem zu erkundigen; und nichts als eine ungewöhnliche Zahl von Besuchern hatte sie bis dahin daran gehindert, zu ihnen zu fahren.
    Der dritte Tag, nachdem sie all diese Dinge erfahren hatten, war ein so freundlicher, schöner Sonntag, daß es viele Leute nach Kensington Gardens zog, obgleich es erst die zweite Märzwoche war. Auch Mrs.   Jennings und Elinor fuhren dorthin; aber Marianne, die wußte, daß die Willoughbys wieder in der Stadt waren und die in ständiger Angst lebte, ihnen zu begegnen, wollte lieber zu Hause bleiben, als sich an einen so allgemein beliebten Ort zu wagen.
    Bald nachdem sie den Park betreten hatten, schloß sich ihnen eine gute Bekannte von Mrs.   Jennings an, und Elinor war nicht böse darum, daß sie selbst – da diese bei ihnen blieb und Mrs.   Jennings somit ganz von der Unterhaltung mit ihr in Anspruch genommen war – in Ruhe ihren Gedanken nachhängen konnte. Sie sah nichts von den Willoughbys, nichts von Edward und eine Zeitlang auch sonst niemand, der irgendwie, ob im ernsten oder heiteren Sinne, für sie interessant sein könnte. Doch am Ende sah sie sich einigermaßen überrascht von Miss Steele angesprochen, die, wenngleich mit einem recht zaghaften Blick, große Befriedigung

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