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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Waldweg; ein glatter Kiesweg, der sich um eine Schonung wand, führte zur Vorderseite des Hauses; der Rasenplatz war überall verstreut mit Bäumen bestanden; das Haus selbst stand im Schutz von Fichten, Ebereschen und Akazien; und ein dichter Schirm von all diesen Bäumen und hohen Pyramidenpappeln dazwischen, nahm den Wirtschaftsräumen alles Licht.
    Marianne betrat das Haus mit vor Bewegung schwellendem |328| Herzen in dem Bewußtsein, daß sie nun nur noch achtzig Meilen von Barton entfernt war und keine dreißig von Combe Magna; und ehe sie sich noch fünf Minuten in seinen Mauern befand, ging sie, während die anderen eifrig damit beschäftigt waren, Charlotte zu helfen, der Wirtschafterin das Kind vorzuführen, wieder hinaus, stahl sich fort, ging den gewundenen Weg durch das Buschwerk entlang, das gerade zu blühen begann, um zu einer fernen Anhöhe zu gelangen. Von dort konnte ihr Blick von einem griechischen Tempel aus über eine weite Strecke Landes nach Südosten wandern, liebevoll auf der entferntesten Hügelkette am Horizont ruhen und sie sich vorstellen, daß von ihren Kuppen vielleicht Combe Magna zu sehen sein würde.
    In solchen Augenblicken kostbaren, unschätzbaren Schmerzes genoß sie es mit Tränen der Qual, in Cleveland zu sein; und als sie auf einem anderen Weg zum Haus zurückkehrte, während sie sich des ganzen glücklichen Vorzugs ländlicher Freiheit, des Wanderns in ungebundener, köstlicher Einsamkeit von Ort zu Ort erfreute, beschloß sie, solange sie bei den Palmers blieb, jede nur mögliche Stunde des Tages in dem Genuß solcher einsamen Streifzüge zu verbringen.
    Sie kehrte gerade rechtzeitig zurück, um sich den anderen anzuschließen, als sie das Haus zu einem Rundgang durch die nähere Umgebung verließen; den Rest des Vormittags vertrieb man sich mühelos damit, im Küchengarten herumzuschlendern, die Blüten an seinen Mauern zu begutachten, sich die Klagen des Gärtners über Pflanzenkrankheiten anzuhören, gemächlich durch das Treibhaus zu gehen, wo Charlotte der Verlust ihrer Lieblingspflanzen, die unvorsichtigerweise dem anhaltenden Frost ausgesetzt gewesen waren und Schaden genommen hatten, zum Lachen brachte. Und schließlich besuchte man noch den Geflügelhof, wo Charlotte in den enttäuschten Hoffnungen ihres Milchmädchens, weil die Hennen ihre Nester verlassen hatten oder von einem Fuchs gestohlen worden waren oder weil eine vielversprechende junge Brut rasch eingegangen war, frische Quellen zur Heiterkeit fand.
    Der Morgen war schön und trocken gewesen, und Marianne |329| hatte bei ihrem Plan, während ihres Aufenthaltes in Cleveland ihre Zeit draußen im Freien zu verbringen, mit keinem Wetterwechsel gerechnet. Zu ihrer großen Überraschung fand sie sich deshalb nach dem Dinner durch anhaltenden Regen daran gehindert, hinauszugehen. Sie hatte fest mit einem Spaziergang im Dämmerlicht zum griechischen Tempel und vielleicht auch über das ganze Anwesen gerechnet, und ein lediglich kalter oder feuchter Abend hätte sie nicht davon abgehalten; doch einen heftigen Dauerregen konnte selbst sie nicht als trockenes, angenehmes Wetter zum Spazierengehen betrachten.
    Sie waren nur eine kleine Gesellschaft, und die Stunden flossen ruhig dahin. Mrs.   Palmer hatte ihr Kind und Mrs.   Jennings ihre Teppichknüpferei; sie sprachen über die Freunde, die sie zurückgelassen hatten, berieten über Lady Middletons Verpflichtungen und fragten sich, ob Mr.   Palmer und Colonel Brandon an diesem Abend weiter als bis Reading kommen würden. Elinor nahm, sowenig sie auch daran interessiert war, an dem Gespräch teil, und Marianne, die ein besonderes Talent hatte, in jedem Haus sogleich den Weg zur Bibliothek zu finden, sosehr diese auch von der Familie im allgemeinen gemieden wurde, beschaffte sich bald ein Buch.
    Mrs.   Palmer ließ es an nichts fehlen – an nichts jedenfalls, was sie in ihrer steten Freundlichkeit und guten Laune zu geben vermochte   –, damit sich ihre Gäste willkommen fühlten. Ihre offene, herzliche Art war mehr als nur ein Ersatz für den Mangel an Beherrschung und Vornehmheit, der es sie oft an der Beachtung von Höflichkeitsformen fehlen ließ; ihre Liebenswürdigkeit, mit einem so hübschen Gesicht geboten, war einnehmend; ihre Torheit war, wenngleich offenkundig, nicht abstoßend, weil sie nicht von Selbstgefälligkeit begleitet war; und Elinor hätte ihr alles verzeihen können, nur nicht ihr Lachen.
    Die beiden Herren trafen am nächsten Tag zu

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