Verstand und Gefühl
lieber Bursche‹, hätte ich gesagt, ›bedenke, was du tust. Du gehst da eine äußerst schändliche Verbindung ein, und zwar eine, die deine Familie einmütig mißbilligt.‹ Kurz gesagt, ich bin überzeugt, daß man einen Weg hätte finden können. Aber jetzt ist alles zu spät. Er muß Not leiden, das ist gewiß, absolute Not leiden.«
|325| Er hatte diesen Punkt gerade mit der größten Ruhe geklärt, als das Erscheinen Mrs. John Dashwoods dem Thema ein Ende machte. Doch obgleich sie außer in ihrer eigenen Familie niemals darüber sprach, konnte Elinor die Wirkung dieser Angelegenheit auf ihre Gedanken an einer gewissen Verlegenheit in ihrer Miene erkennen, mit der sie eintrat, und an einem Versuch von Herzlichkeit in ihrem Verhalten ihr selbst gegenüber. Sie ging sogar so weit, betroffen zu sein, als sie erfuhr, daß Elinor und ihre Schwester so bald die Stadt verlassen würden, da sie doch gehofft habe, sie noch öfter zu sehen – ein Bemühen, in dem ihr Gatte, der sie ins Zimmer begleitete und bezaubert von ihrer Rede war, ihr ganzes liebevolles und gefälliges Wesen zu erblicken schien.
|326| Kapitel 42
Ein weiterer kurzer Besuch in Harley Street – bei dem Elinor von ihrem Bruder dazu beglückwünscht wurde, daß sie so weit in Richtung Barton reisen würden, ohne irgendwelche Ausgaben zu haben, und dazu, daß Colonel Brandon es ermöglichen könne, ihnen in ein paar Tagen nach Cleveland nachzukommen – beendete den Verkehr zwischen Bruder und Schwestern in der Stadt; und eine vage Einladung von Fanny, nach Norland zu kommen, wann immer es auf ihrem Wege liegen sollte – was natürlich äußerst unwahrscheinlich war –, und eine wärmere, wenngleich weniger allgemein hörbare Versicherung Johns gegenüber Elinor, daß er jederzeit bereit sei, sie in Delaford zu besuchen, waren alles, was ein mögliches Treffen auf dem Lande versprach.
Es amüsierte sie zu beobachten, daß alle ihre Freunde und Angehörigen entschlossen schienen, sie nach Delaford zu schicken – einem Ort, den sie keineswegs gewillt war zu besuchen und an dem sie ebensowenig zu wohnen wünschte; denn er wurde nicht nur von ihrem Bruder und Mrs. Jennings als ihr zukünftiges Heim betrachtet, sondern auch Lucy lud sie beim Abschied dringend ein, sie dort zu besuchen.
Sehr zeitig im April und ziemlich früh am Tage machten sich die beiden Gruppen von Hanover Square und Berkeley Street von ihren jeweiligen Wohnsitzen auf den Weg, um sich, wie verabredet, auf der Landstraße zu treffen. Um die Reise für Charlotte und ihr Kind angenehmer zu gestalten, würden sie mehr als zwei Tage unterwegs sein; und Mr. Palmer, der mit Colonel Brandon zügiger reiste, sollte bald nach ihrer Ankunft in Cleveland zu ihnen stoßen.
So wenig angenehme Stunden Marianne auch in London |327| hatte zubringen können, und so bestrebt sie auch schon lange gewesen war, fortzukommen, konnte sie doch, als es schließlich soweit war, dem Haus, in dem sie sich zum letzten Mal jener Hoffnungen und jenes Vertrauens in Willoughby erfreut hatte, die nun für immer zerstört waren, nicht ohne Schmerz adieu sagen. Auch konnte sie den Ort, an dem Willoughby mit neuen Verpflichtungen und neuen Plänen beschäftigt zurückblieb, an denen sie keinen Anteil hatte, nicht verlassen, ohne viele Tränen zu vergießen.
Elinors Befriedigung im Augenblick ihrer Abreise war positiverer Art. Es gab nichts, an das sie mit Sehnsucht zurückdenken konnte, sie ließ keinen Menschen zurück, von dem sich für immer trennen zu müssen sie auch nur einen Augenblick bedauern würde; sie war froh, von der lästigen Freundschaft Lucys befreit zu sein, war froh, ihre Schwester fortbringen zu können, ohne daß ihr Willoughby seit seiner Heirat begegnet war, und sah voller Hoffnung dem Einfluß entgegen, den ein paar Monate der Ruhe in Barton bewirken konnten, um Mariannes Seelenfrieden wiederherzustellen und ihren eigenen zu festigen.
Ihre Reise ging ohne Schwierigkeiten vonstatten. Der zweite Tag brachte sie in die geliebte oder gefürchtete Grafschaft Somerset, denn als solche lebte sie abwechselnd in Mariannes Vorstellung; und am Vormittag des dritten Tages erreichten sie Cleveland.
Cleveland war ein geräumiges Haus moderner Bauart, auf einem abfallenden Rasenplatz gelegen. Es hatte keinen Park, aber die Gartenanlagen waren ziemlich ausgedehnt; und wie jeder andere Ort von gleicher Bedeutung hatte es seinen offenen, von Büschen eingerahmten Weg und seinen dichteren
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