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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Brandon bewogen, sein Versprechen einzulösen und ihr zu folgen; und während er sich anschickte, abzureisen, begann Colonel Brandon – mit noch viel größerer Überwindung – ebenfalls vom Abreisen zu sprechen. Doch hier erhob Mrs.   Jennings in ihrer Güte sehr willkommenen Einspruch; denn den Colonel fortzuschicken, während seine Liebste wegen ihrer Schwester in so großer Sorge war, würde die beiden, wie sie meinte, allen Trostes berauben; und deshalb erklärte sie ihm sogleich, daß sein Aufenthalt in Cleveland für sie selbst erforderlich sei, da sie ihn abends zum Pikettspielen mit ihr brauche, während Miss Dashwood oben bei ihrer Schwester sei, und so weiter –; und sie bat ihn so dringend zu bleiben, daß der Colonel, der mit einer Einwilligung seinen größten Herzenswunsch befriedigte, nicht einmal vorgeben konnte, lange zu zögern, zumal Mrs.   Jennings’ dringende Bitte von Mr.   Palmer eifrig unterstützt wurde, der es selbst als Erleichterung empfand, einen Menschen zurückzulassen, der so wohl imstande war, Miss Dashwood in jeder Notlage mit Rat und Tat beizustehen.
    Marianne sagte man natürlich von all diesen Vorkehrungen nichts. Sie wußte nicht, daß die Bewohner von Cleveland etwa sieben Tage nach ihrer Ankunft dort ihretwegen fortgeschickt worden waren. Es überraschte sie nicht, daß sie Mrs.   Palmer gar nicht sah; und da es sie auch nicht beunruhigte, erwähnte sie niemals ihren Namen.
    Zwei Tage vergingen so, nachdem die Palmers abgereist waren, und ihr Zustand blieb, mit wenig Veränderungen, immer der gleiche. Mr.   Harris, der sie jeden Tag behandelte, sprach noch immer kühn von einer raschen Genesung, und |335| Miss Dashwood war ebenso zuversichtlich, doch die anderen hegten keineswegs solche freudigen Hoffnungen. Mrs.   Jennings war schon gleich zu Beginn der Krankheit zu dem Schluß gekommen, daß Marianne sie nicht überstehen würde; und Colonel Brandon, der vor allem insofern von Nutzen war, als er sich Mrs.   Jennings’ böse Ahnungen anhörte, befand sich nicht gerade in einem Gemütszustand, in dem er ihrem Einfluß widerstehen konnte. Er versuchte, sich die Furcht auszureden, die das ganz andere Urteil des Doktors absurd erscheinen ließ; doch die vielen Stunden jedes Tages, in denen er vollkommen sich selbst überlassen blieb, förderten zu sehr das Aufkommen aller Art trauriger Gedanken, und er konnte die Überzeugung nicht loswerden, daß er Marianne nie mehr sehen würde.
    Am Morgen des dritten Tages jedoch waren die düsteren Vorahnungen der beiden fast verflogen; denn als Mr.   Harris erschien, erklärte er, daß es seiner Patientin wesentlich bessergehe. Ihr Puls sei viel kräftiger und alle Symptome günstiger als bei seinem vorherigen Besuch. Elinor, die sich in all ihren angenehmen Hoffnungen bestätigt sah, war voller Freude und froh, daß sie in den Briefen an ihre Mutter vielmehr ihrem eigenen Urteil gefolgt war als dem ihrer Freunde, indem sie Mariannes Unpäßlichkeit, die sie beide in Cleveland zurückhielt, als ganz unbedeutend abgetan und schon fast eine Zeit festgelegt hatte, zu der Marianne imstande sein würde zu reisen.
    Doch der Tag ging nicht so vielversprechend zu Ende, wie er begonnen hatte. Zum Abend ging es Marianne wieder schlechter, sie fühlte sich matter, ruheloser und unwohler als zuvor. Ihre Schwester, noch immer zuversichtlich, wollte die Veränderung allein der Ermüdung zuschreiben, weil sie aufgesessen hatte, damit ihr Bett gemacht werden konnte; und nachdem sie ihr sorgsam die verschriebenen Stärkungsmittel verabreicht hatte, sah sie sie zu ihrer Befriedigung schließlich in einen Schlummer versinken, von dem sie sich eine sehr heilsame Wirkung versprach. Ihr Schlaf dauerte eine geraume Zeit, war jedoch nicht so ruhig, wie Elinor es sich gewünscht |336| hatte; und ängstlich besorgt, die Wirkung selbst zu beobachten, beschloß sie, die ganze Zeit bei ihr sitzen zu bleiben. Mrs.   Jennings, die von keiner Veränderung bei der Patientin wußte, ging ungewöhnlich zeitig zu Bett; ihre Zofe, die eine der hauptsächlichen Krankenpflegerinnen war, erholte sich etwas im Zimmer der Wirtschafterin, und Elinor blieb allein mit Marianne.
    Doch deren Schlaf wurde immer unruhiger; und ihre Schwester, die mit unablässiger Aufmerksamkeit ihr ständiges Herumwälzen von einer Seite auf die andere beobachtete, hörte die häufigen, doch unverständlichen Klagelaute, die von ihren Lippen kamen, und wünschte fast, sie aus einem so

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