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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem sehr späten Dinner ein und bildeten eine erfreuliche Erweiterung ihres Kreises und eine sehr willkommene Abwechslung für ihre Unterhaltung, die ein langer Vormittag mit dem immer gleichen anhaltenden Regen sehr eingeschränkt hatte.
    |330| Elinor hatte Mr.   Palmer so wenig gesehen und bei diesen wenigen Gelegenheiten ein so unterschiedliches Verhalten ihrer Schwester und sich selbst gegenüber erlebt, daß sie nicht wußte, was von seinem Verhalten in seiner eigenen Familie zu erwarten war. Sie stellte jedoch fest, daß er sich in seinem Betragen all seinen Besuchern gegenüber als ein perfekter Gentleman erwies und nur gelegentlich zu seiner Gattin und ihrer Mutter grob war; sie stellte fest, daß er sehr wohl ein angenehmer Gesellschafter sein konnte, und nur seine allzu große Neigung, sich selbst aller Welt ebenso überlegen zu glauben, wie er sich gegenüber Mrs.   Jennings und Charlotte wohl fühlen mußte, hinderte ihn daran, dies auch
immer
zu sein. Und was seinen sonstigen Charakter und seine Gewohnheiten betraf, so zeigten sie, soweit Elinor sehen konnte, keine Züge, die in irgendeiner Weise für sein Geschlecht und sein Alter ungewöhnlich waren; er war wählerisch mit dem Essen, hielt sich an keine geregelten Zeiten, liebte sein Kind, obgleich er tat, als sei es ihm gleichgültig, und er verbummelte die Vormittage beim Billard, die er seinen Geschäften hätte widmen sollen. Sie mochte ihn jedoch im ganzen gesehen viel mehr, als sie es erwartet hatte; und sie war dennoch von Herzen froh, daß sie ihn nicht noch mehr mochte, und froh, daß sie in Anbetracht seiner Genußsucht, seiner Selbstsucht und seines Eigendünkels mit Zufriedenheit bei der Erinnerung an Edwards großmütiges Naturell, einfachen Geschmack und zurückhaltendes Wesen verweilen konnte.
    Über Edward, oder zumindest über einige seiner Angelegenheiten, erhielt sie nun von Colonel Brandon Auskunft, der kürzlich in Dorsetshire gewesen war und ihr, da er sie gleichzeitig als selbstlose Freundin Mr.   Ferrars und als seine eigene wohlwollende Vertraute behandelte, sehr viel über das Pfarrhaus in Delaford berichtete, seine Unzulänglichkeiten nannte und ihr erklärte, was er selbst zu tun beabsichtigte, um sie zu beseitigen. Sein Verhalten ihr gegenüber in dieser Angelegenheit, wie auch in jeder anderen Sache, sein offenkundiges Vergnügen, sie nach einer Abwesenheit von nur zehn Tagen wiederzutreffen, seine Bereitschaft, sich mit ihr zu |331| unterhalten, und seine Achtung vor ihrer Meinung mochten sehr wohl Mrs.   Jennings Überzeugung von seiner Liebe zu ihr rechtfertigen und hätten vielleicht ausgereicht, sie selbst so etwas vermuten zu lassen, hätte sie nicht noch immer, wie schon von Anfang an geglaubt, daß Marianne die von ihm eigentlich Bevorzugte war. Doch wie die Dinge lagen, war ihr, außer durch Mrs.   Jennings’ Anspielungen, ein solcher Gedanke kaum jemals gekommen; und sie konnte nicht umhin, sich selbst als die schärfere Beobachterin von ihnen beiden zu sehen; sie achtete auf seine Augen, während Mrs.   Jennings nur an sein Verhalten dachte; und während seine ängstlich besorgten Blicke auf Marianne gerichtet waren – die in Kopf und Hals eine heftige Erkältung herannahen fühlte – und diese Blicke, da seine Besorgnis nicht mit Worten ausgedrückt wurde, der Beobachtung Mrs.   Jennings völlig entgingen, konnte Elinor darin die innere Erregung und die übertriebene Besorgnis eines Liebenden erkennen.
    Zwei herrliche Spaziergänge in der Dämmerung am dritten und vierten Abend ihres Aufenthaltes in Cleveland – und nicht nur auf den trockenen Kieswegen beim Buschwerk, sondern über die gesamten Anlagen, besonders in ihren entferntesten Teilen, wo es etwas wilder war als in den übrigen, wo die Bäume am ältesten und das Gras am längsten und am nassesten war – hatten bei Marianne, unterstützt durch die noch größere Unvernunft, in ihren nassen Schuhen und Strümpfen sitzenzubleiben, eine so heftige Erkältung hervorgerufen, daß sie, obgleich sie ein paar Tage lang von ihr leichtgenommen oder gar verleugnet wurde, durch ihre zunehmenden Beschwerden die Besorgnis aller hervorrufen mußte und ihr selbst nicht entgehen konnte. Von allen Seiten wurden gute Ratschläge gegeben, die Marianne, wie gewöhnlich, zurückwies. Doch obgleich fiebernd, mit schweren, schmerzenden Gliedern, einem Husten und einer Halsentzündung, würde sie, wie sie meinte, ein guter Nachtschlaf völlig wiederherstellen;

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