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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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bestätigen schienen. Ihr Atem, ihre Haut, ihre Lippen, alles erfreute Elinor mit Zeichen der Besserung; und schließlich richtete Marianne mit einem verständigen, wenn auch matten Blick ihre Augen auf sie. Angst und Hoffnung lasteten nun gleichermaßen auf ihr und ließen ihr keinen Moment Ruhe – bis Mr.   Harris um vier Uhr erschien und er ihr durch seine Versicherungen und seine Glückwünsche zu der Gesundung ihrer Schwester, die selbst seine Erwartungen übertraf, schließlich Zuversicht und Trost gab und ihr Tränen der Freude entlockte.
    Marianne ging es in jeder Hinsicht wesentlich besser, und er erklärte sie völlig außer Gefahr. Mrs.   Jennings, vielleicht zufrieden damit, daß die vorangegangenen Ängste alle ihre bösen Ahnungen zumindest teilweise gerechtfertigt hatten, gestattete sich, seinem Urteil zu vertrauen, und gab mit aufrichtiger Freude, und bald mit unverkennbarer Heiterkeit, die Wahrscheinlichkeit einer völligen Genesung zu.
    Elinor konnte nicht so heiter sein. Ihre Freude war anderer |341| Art und veranlaßte sie eher zu allem anderen als Fröhlichkeit. Marianne dem Leben, den Angehörigen und Freunden und ihrer sie abgöttisch liebenden Mutter wiedergegeben, war ein Gedanke, der ihr Herz mit Gefühlen wunderbaren Trostes erfüllte und es in inbrünstiger Dankbarkeit weitete; doch er führte bei ihr zu keiner äußeren Demonstration der Freude, zu keinen Worten, keinem Lächeln. Elinors Glück lag tief in ihrem Innern, still und stark.
    Sie blieb den ganzen Nachmittag mit wenig Unterbrechung am Bett ihrer Schwester, beschwichtigte alle Furcht, befriedigte alle Fragen ihres geschwächten Gemüts, leistete jede Hilfe und wachte beinahe über jeden Blick und jeden Atemzug. Die Möglichkeit eines Rückfalls tauchte natürlich hin und wieder in ihr auf, um sie daran zu erinnern, was Angst hieß – aber wenn sie bei ihrem häufigen und genauen Prüfen sah, daß alle Symptome einer Gesundung weiterhin erkennbar waren und sie Marianne um sechs Uhr in einen ruhigen, gleichmäßigen und allem Anschein nach angenehmen Schlaf sinken sah, verscheuchte sie alle Zweifel.
    Die Zeit kam nun heran, da Colonel Brandon zurückerwartet werden konnte. Um zehn Uhr, so glaubte sie, zumindest nicht viel später, würde ihre Mutter von der schrecklichen bangen Ungewißheit erlöst sein, die sie auf dem Wege hierher begleiten mußte. Und auch der Colonel! Vielleicht kaum weniger zu bemitleiden! – Oh, wie langsam doch die Zeit verging, die diese beiden noch in Unwissenheit ließ!
    Um sieben Uhr verließ sie Marianne, die noch sanft schlief, und ging zu Mrs.   Jennings in den Salon zum Tee. Vom Frühstück hatte ihre Furcht sie ferngehalten, und zum Dinner hatte es ihr der plötzliche Umschwung unmöglich gemacht, viel zu essen – so war die gegenwärtige Stärkung besonders willkommen, da sie sich ihr mit so dankbaren Gefühlen überlassen konnte. Mrs.   Jennings wollte sie nach dem Tee gern überreden, sich etwas auszuruhen, bevor ihre Mutter kam, und
ihr
zu gestatten, ihren Platz bei Marianne einzunehmen; doch Elinor fühlte in diesem Augenblick keine Müdigkeit und hätte nicht schlafen können, und sie war nicht für einen |342| unnötigen Augenblick von ihrer Schwester wegzubekommen. Mrs.   Jennings begleitete sie deshalb nach oben ins Krankenzimmer, um sich selbst zu überzeugen, daß alles weiterhin gutging, überließ sie dann wieder ihrer Pflegebefohlenen und ihren Gedanken und zog sich in ihr eigenes Zimmer zurück, um Briefe zu schreiben und zu schlafen.
    Die Nacht war kalt und stürmisch. Der Wind tobte um das Haus, und der Regen schlug gegen die Fenster; doch Elinor, ganz ihren glücklichen Gedanken hingegeben, beachtete es nicht. Mariannes Schlaf konnte kein Windstoß etwas anhaben, und die Reisenden – sie erwartete für alle gegenwärtige Unbequemlichkeit ein reicher Lohn.
    Die Uhr schlug acht. Hätte sie zehn geschlagen, wäre Elinor überzeugt gewesen, daß sie in diesem Augenblick eine Kutsche auf das Haus hatte zufahren hören; doch sie glaubte so sicher, tatsächlich etwas gehört zu haben, daß sie, obwohl es fast unmöglich war, daß ihre Mutter schon kam, in das angrenzende Ankleidezimmer ging und einen Fensterladen öffnete, um sich zu vergewissern. Sie sah sogleich, daß ihre Ohren sie nicht getäuscht hatten. Die flackernden Lampen einer Kutsche kamen sofort in Sicht. Bei ihrem undeutlichen Licht glaubte sie zu erkennen, daß sie von vier Pferden gezogen wurden; das zeugte von

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