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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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der übermäßigen Angst ihrer armen Mutter und erklärte die so unerwartete Schnelligkeit.
    Niemals in ihrem Leben war es Elinor so schwergefallen, ruhig zu bleiben, wie in diesem Augenblick. Das Wissen darum, was ihre Mutter empfinden mußte, als die Kutsche vor der Tür hielt – ihre Zweifel – ihre Furcht – vielleicht ihre Verzweiflung! Und zu denken, was sie ihr zu berichten hatte! Da war es unmöglich, Ruhe zu bewahren. Alles, was sie noch tun konnte, war, schnell zu sein; und so blieb sie nur so lange, bis sie Mrs.   Jennings’ Dienstmädchen bei ihrer Schwester lassen konnte, und stürzte sogleich hinunter.
    Die Geschäftigkeit im Hausflur, während sie durch ein inneres Vorzimmer lief, versicherte ihr, daß sie bereits im Haus waren. Sie stürmte auf das Empfangszimmer zu – betrat es und sah – nur Willoughby!

|343| Kapitel 44
    Elinor, die bei seinem Anblick mit einem Ausdruck des Entsetzens zurückfuhr, gehorchte dem ersten Impuls ihres Herzens und wandte sich augenblicklich ab, um das Zimmer zu verlassen; und sie hatte ihre Hand bereits am Türschloß, als sie genötigt war, innezuhalten, da er hastig auf sie zukam und in einem eher befehlenden als bittenden Ton sagte: »Miss Dashwood, ich flehe Sie an, bleiben Sie – eine halbe Stunde – zehn Minuten.«
    »Nein, Sir«, erwiderte sie mit Festigkeit, »ich bleibe nicht. Ihr Anliegen kann nicht mich betreffen. Ich nehme an, die Diener haben vergessen, Ihnen zu sagen, daß Mr.   Palmer nicht im Hause ist.«
    »Hätten sie mir gesagt«, rief er ungestüm, »daß Mr.   Palmer und alle seine Angehörigen beim Teufel wären, hätte mich das nicht fortgebracht von der Tür. Mein Anliegen gilt Ihnen, ganz allein Ihnen.«
    »Mir!« – mit äußerster Verwunderung – »nun, Sir, dann rasch – und weniger heftig, wenn es geht.«
    »Setzen Sie sich, dann werde ich mich an beides halten.«
    Sie zögerte, sie wußte nicht, was sie tun sollte. Die Möglichkeit, daß Colonel Brandon inzwischen ankommen und ihn hier finden würde, kam ihr in den Sinn. Aber sie hatte versprochen, ihn anzuhören, und so war ihre Neugierde nicht weniger als ihre Ehre dabei im Spiel. Nach einem Augenblick der Überlegung, entschied sie daher, daß die Klugheit Eile gebot und daß ihre Einwilligung diese am besten fördern könne; so ging sie schweigend zum Tisch und setzte sich. Er nahm sich den gegenüberstehenden Stuhl, und eine halbe Minute lang sprachen beide kein Wort.
    |344| »Machen Sie bitte schnell, Sir«, sagte Elinor ungeduldig, »ich habe keine Zeit zu verlieren.«
    Er verharrte in einer Haltung tiefen Nachdenkens und schien sie gar nicht zu hören.
    »Ihre Schwester«, sagte er dann einen Augenblick später abrupt, »ist außer Gefahr. Ich hörte es von dem Diener. Gott sei gelobt! – Aber stimmt es auch? Ist es wirklich wahr?«
    Elinor wollte nichts sagen. Er wiederholte seine Frage ungestümer.
    »Um Himmels willen, sagen Sie mir, ist sie außer Gefahr, oder ist sie es nicht?«
    »Wir hoffen es.«
    Er stand auf und wanderte durch das Zimmer.
    »Hätte ich das nur schon vor einer halben Stunde gewußt! Aber da ich einmal hier bin«, sagte er mit erzwungener Munterkeit, während er zu seinem Platz zurückkehrte, »was bedeutet es schon? – Dieses eine Mal, Miss Dashwood – es wird vielleicht das letzte Mal sein   –, lassen Sie uns zusammen heiter sein – ich bin in glänzender Stimmung dazu. – Sagen Sie mir ehrlich«, und eine tiefere Röte überzog sein Gesicht, »halten Sie mich mehr für einen Schuft oder mehr für einen Toren?«
    Elinor sah ihn noch verwunderter an als zuvor. Ihr kam schließlich der Gedanke, daß er betrunken sein mußte; die Seltsamkeit eines solchen Besuches und eines solchen Betragens waren kaum anders zu erklären; und unter diesem Eindruck erhob sie sich sogleich und sagte: »Mr.   Willoughby, ich rate Ihnen, erst einmal nach Combe zurückzukehren. Ich habe jetzt keine Zeit, länger bei Ihnen zu bleiben. Welches Anliegen Sie auch an mich haben mögen, Sie werden sich morgen besser darauf besinnen und es mir erklären können.«
    »Ich verstehe, was Sie meinen«, erwiderte er mit einem vielsagenden Lächeln und in vollkommen ruhigem Ton. »Ja, ich bin sehr betrunken. Ein halber Liter Porter mit einem kalten Rinderbraten in Marlborough hat ausgereicht, mich umzuwerfen.«
    »In Marlborough!« rief Elinor, die immer weniger verstand, worauf er hinauswollte.
    |345| »Ja – ich habe London heute morgen um acht Uhr verlassen, und die

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