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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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quälenden Schlummer aufzuwecken, als Marianne plötzlich von einem zufälligen Geräusch im Haus erwachte, hastig auffuhr und im Fieberwahn ausrief: »Kommt Mama?«
    »Noch nicht«, erwiderte ihre Schwester, die ihren Schrecken verbarg und Marianne half, sich wieder hinzulegen, »aber ich hoffe, sie wird bald hiersein. Du weißt, es ist ein weiter Weg von hier nach Barton.«
    »Aber sie darf nicht über London kommen«, rief Marianne hastig. »Ich werde sie nie wiedersehen, wenn sie nach London geht.«
    Elinor erkannte mit Schrecken, daß sie nicht bei Sinnen war, und während sie versuchte, sie zu besänftigen, fühlte sie fieberhaft ihren Puls. Er war schwächer und schneller als je zuvor; und da Marianne noch immer wild von der Mama redete, nahm ihre Angst so rasch zu, daß sie sich entschloß, sofort nach Mr.   Harris und einen Boten nach Barton zu ihrer Mutter zu schicken. Dem Gedanken, Colonel Brandon zu Rate zu ziehen, wie dies am besten zu machen sei, folgte augenblicklich der Entschluß; und sobald sie nach dem Dienstmädchen geläutet hatte, damit diese ihren Platz bei ihrer Schwester einnehmen konnte, eilte sie hinunter in den Salon, wo sie den Colonel, wie sie wußte, im allgemeinen auch noch zu einer wesentlich späteren Stunde als jetzt finden würde.
    Es war keine Zeit zu verlieren. Ihre Befürchtungen und Schwierigkeiten waren augenblicklich vor ihm ausgebreitet. |337| Den Versuch zu machen, ihre Befürchtungen zu zerstreuen, hatte er weder den Mut noch die Zuversicht – er hörte sich alles in stiller Verzagtheit an   –, doch ihren Schwierigkeiten wurde augenblicklich begegnet; denn mit einer Bereitschaft, die zeigte, daß er eine solche Gelegenheit, zu Diensten zu sein, bereits erwartet hatte, bot er sich selbst an, Mrs.   Dashwood herbeizuholen. Elinor erhob keinen Einwand, der nicht leicht zu überwinden war. Sie dankte ihm kurz, doch inbrünstig; und während er ging, um seinen Diener eilig mit einer Botschaft zu Mr.   Harris und mit einem Auftrag für die sofortige Bereitstellung von Postpferden wegzuschicken, schrieb Elinor ein paar Zeilen an ihre Mutter.
    Der Trost, in diesem Augenblick einen Freund wie Colonel Brandon zu haben – und einen solchen Begleiter für ihre Mutter – wie dankbar sie dafür war! Einen Begleiter, dessen Urteilsvermögen sie leiten würde, dessen Anwesenheit sie beruhigen mußte und dessen Freundschaft sie trösten mochte! Soweit der Schock, aus einem solchen Anlaß herbeigerufen zu werden, bei ihr überhaupt gemindert werden konnte, würden es seine Gegenwart, sein Verhalten, seine Hilfe bewirken können.
    Was immer er selbst auch empfinden mochte, er handelte unterdessen mit der ganzen Entschlossenheit eines besonnenen Menschen, traf alle notwendigen Vorkehrungen mit äußerster Eile und berechnete genau die Zeit, zu der Elinor seine Rückkehr erwarten konnte. Nicht ein Augenblick ging durch Verzögerungen irgendwelcher Art verloren. Die Pferde wurden sogar eher gebracht als erwartet, und Colonel Brandon, der ihr nur mit ernstem Gesicht und wenigen Worten, zu leise, um von ihr verstanden zu werden, die Hand drückte, stieg eilig in die Kutsche. Es war etwa zwölf Uhr, und sie kehrte in das Zimmer ihrer Schwester zurück, um auf die Ankunft des Doktors zu warten und für den Rest der Nacht bei ihr zu wachen. Es war eine Nacht beinahe gleichen Leidens für beide. Stunde um Stunde verging in quälender Schlaflosigkeit und im Fieberwahn für Marianne und in entsetzlicher Angst für Elinor, bis schließlich Mr.   Harris erschien. Da ihre |338| Befürchtungen einmal geweckt waren, bezahlte sie nun mit deren Übermaß für all ihre frühere Sorglosigkeit; und das Dienstmädchen, das mit ihr aufsaß – denn Elinor wollte Mrs.   Jennings nicht rufen lassen   –, quälte sie noch mehr durch Bemerkungen darüber, was ihre Herrin doch schon immer gemeint habe.
    Mariannes von Zeit zu Zeit in unzusammenhängenden Worten geäußerte Gedanken waren noch immer bei ihrer Mutter, und jedesmal, wenn die arme Elinor sie
Mama
sagen hörte, gab es ihr einen Stich ins Herz; und während sie sich Vorwürfe machte, daß sie die Krankheit so viele Tage zu leicht genommen hatte, und sie in ihrem Elend auf augenblickliche Hilfe hoffte, glaubte sie schließlich, daß alle Hilfe bald vergebens sein würde, daß alles zu lange verzögert worden war; und sie stellte sich ihre leidende Mutter vor, die zu spät eintraf, um dieses geliebte Kind noch am Leben oder bei Bewußtsein zu

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