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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sie zu sehen, machte weder einen begeisterten noch einen heiteren Eindruck, sagte wenig außer dem, was ihm durch Fragen abgenötigt wurde, und bedachte Elinor mit keinem Zeichen der Zuneigung. Marianne sah und hörte es mit steigender Verwunderung. Sie empfand beinahe Abneigung gegen ihn, was schließlich, wie jede ihrer Empfindungen, ihre Gedanken wieder auf Willoughby lenkte, dessen Verhalten einen so auffallenden Gegensatz zu dem seines zukünftigen Schwagers bildete.
    Nach einem kurzen Schweigen, das der ersten Überraschung und den Erkundigungen bei ihrem Zusammentreffen folgte, fragte Marianne Edward, ob er direkt von London komme. Nein, er sei zwei Wochen in Devonshire gewesen.
    »Zwei Wochen!« wiederholte sie, überrascht, weil er so lange in der gleichen Grafschaft mit Elinor gewesen war und sie bisher nicht besucht hatte.
    |100| Er machte einen ziemlich gequälten Eindruck, als er hinzufügte, daß er sich bei Freunden in der Nähe von Plymouth aufgehalten habe.
    »Sind Sie in letzter Zeit in Sussex gewesen?« fragte Elinor.
    »Ich war vor etwa einem Monat in Norland.«
    »Und wie sah mein liebes, liebes Norland aus?« rief Marianne.
    »Dein liebes, liebes Norland«, sagte Elinor, »sieht wahrscheinlich ganz so aus wie immer zu dieser Jahreszeit   – Wald und Wege dick bedeckt mit trockenem Laub.«
    »Oh«, rief Marianne, »mit welchem Entzücken habe ich die Blätter früher herabfallen sehen. Was hatte ich für ein Vergnügen daran, wenn der Wind sie bei meinen Spaziergängen in Schauern um mich hertrieb. Welche Gefühle haben sie, diese Jahreszeit, diese Luft in mir geweckt! Nun ist niemand da, der ihnen zusieht. Sie werden nur noch als Ärgernis gesehen, eilig weggefegt und so weit wie möglich aus den Augen geschafft.«
    »Nicht jeder«, sagte Elinor, »hat deine Leidenschaft für abgestorbenes Laub.«
    »Nein; meine Gefühle werden nicht oft geteilt, nicht oft verstanden. Aber
manchmal
doch.« Als sie das sagte, versank sie einige Augenblicke in Träumerei, doch besann sie sich wieder. »Nun, Edward«, sagte sie und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Aussicht, »hier ist das Tal von Barton, sehen Sie es sich an, und dann bleiben Sie gelassen, wenn Sie es können. Schauen Sie sich diese Hügel an! Haben Sie jemals ihresgleichen gesehen? Links zwischen diesen Wäldern und Schonungen liegt Barton Park. Sie können eine Seite des Hauses sehen. Und dort, am Fuße des entferntesten Hügels, der sich mit solcher Großartigkeit erhebt, liegt unser Landhaus.«
    »Es ist eine wunderschöne Gegend«, erwiderte er, »aber diese Böden hier müssen im Winter sehr schmutzig sein.«
    »Wie können Sie an Schmutz denken, wenn Sie so etwas vor Augen haben?«
    »Weil ich«, erwiderte er lächelnd, »unter den übrigen Dingen vor mir auch einen sehr schmutzigen Weg sehe.«
    |101| »Wie merkwürdig!« sagte Marianne zu sich selbst, während sie weiterging.
    »Haben Sie eine angenehme Nachbarschaft hier? Sind die Middletons freundliche Leute?«
    »Überhaupt nicht«, erwiderte Marianne, »wir hätten es nicht schlechter treffen können.«
    »Marianne«, rief ihre Schwester, »wie kannst du so etwas sagen! Wie kannst du so ungerecht sein! Es ist eine sehr achtbare Familie, Mr.   Ferrars, und sie haben sich uns gegenüber außerordentlich freundlich verhalten. Hast du vergessen, Marianne, wie viele angenehme Tage wir ihnen verdanken?«
    »Nein«, sagte Marianne leise, »und auch nicht, wie viele peinliche Augenblicke.«
    Elinor beachtete es nicht, und während sie sich ihrem Besucher zuwandte, bemühte sie sich, so etwas wie eine Unterhaltung mit ihm in Gang zu bringen, indem sie über ihren jetzigen Wohnsitz, seine Bequemlichkeiten und dergleichen sprach und ihm damit gelegentliche Fragen und Bemerkungen abnötigte. Seine Kälte und Zurückhaltung kränkten sie schwer, sie war verärgert und beinahe böse; doch da sie beschloß, sich in ihrem Verhalten ihm gegenüber eher von der Vergangenheit als von der Gegenwart leiten zu lassen, vermied sie jeden Anschein von Verstimmung oder Unzufriedenheit und behandelte ihn so, wie er nach ihrer Meinung als Angehöriger der Familie behandelt werden sollte.

|102| Kapitel 17
    Mrs.   Dashwoods Überraschung, als sie ihn sah, währte nur einen Augenblick, denn daß er nach Barton kam, war in ihren Augen die natürlichste Sache der Welt. Ihre Freude und ihre freundschaftlichen Äußerungen währten weit länger als ihr Erstaunen. Sie hieß ihn wärmstens willkommen; und

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