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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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können, Ihre Schwester zu allgemein üblicher Höflichkeit zu bekehren?« sagte Edward zu Elinor. »Kommen Sie gar nicht damit voran?«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Elinor und sah Marianne vielsagend an.
    »Mit meinem Urteil«, entgegnete er, »bin ich ganz auf |107| Ihrer Seite in dieser Frage, aber ich fürchte, in der Praxis bin ich auf der Ihrer Schwester. Ich möchte niemals jemanden kränken, aber ich bin so lächerlich schüchtern, daß ich oft unachtsam erscheine, wenn ich nur von meiner eigenen Unbeholfenheit zurückgehalten werde. Ich habe oft gedacht, daß mich die Natur dazu geschaffen hat, einfache Gesellschaft zu lieben, ich fühle mich so wenig wohl unter vornehmen Fremden!«
    »Marianne kennt keine Schüchternheit, die ihr unhöfliches Verhalten jemals rechtfertigen könnte.«
    »Sie kennt ihren eigenen Wert zu gut für falsche Scham«, erwiderte Edward. »Schüchternheit ist auf die eine oder andere Weise nur die Folge von Minderwertigkeitsgefühlen. Wenn ich mir selbst sagen könnte, meine Umgangsformen seien vollkommen ungezwungen und gefällig, wäre ich nicht schüchtern.«
    »Aber Sie wären immer noch verschlossen«, sagte Marianne, »und das ist noch schlimmer.«
    Edward starrte sie an. »Verschlossen? Ich bin verschlossen, Marianne?«
    »Ja, sehr.«
    »Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte er und wurde rot. »Verschlossen! – Wie, in welcher Weise? Was sollte ich Ihnen sagen? Was können Sie meinen?«
    Elinor sah verwundert seine Erregung, doch sie versuchte, das Thema mit einem Lachen abzutun, und sagte zu ihm: »Kennen Sie meine Schwester nicht gut genug, um zu sehen, was sie meint? Wissen Sie nicht, daß sie jeden verschlossen nennt, der nicht ebenso schnell spricht und alles, was sie bewundert, nicht ebenso stürmisch bewundert wie sie selbst?«
    Edward gab keine Antwort. Sein Ernst und seine Nachdenklichkeit hatten wieder voll von ihm Besitz ergriffen, und er blieb eine Zeitlang still und teilnahmslos.

|108| Kapitel 18
    Elinor bemerkte voller Besorgnis die gedrückte Stimmung ihres Freundes. Sein Besuch bot ihr nur eine sehr bedingte Befriedigung, da seine eigene Freude daran so unvollkommen schien. Es war offensichtlich, daß er unglücklich war; sie wünschte, es wäre ebenso offensichtlich, daß er sie immer noch mit der gleichen Zuneigung auszeichnete, die sie einst ohne Zweifel in ihm erweckt hatte; doch bisher schien es sehr ungewiß, ob er sie noch immer bevorzugte, und sein zurückhaltendes Benehmen ihr gegenüber widersprach in einem Moment dem, was ein beseelterer Blick im vorhergehenden zu verstehen gegeben hatte.
    Er schloß sich ihr und Marianne am nächsten Morgen im Frühstückszimmer an, bevor die anderen heruntergekommen waren; und Marianne, die, soweit sie nur konnte, immer darauf bedacht war, dem Glück der beiden förderlich zu sein, ließ sie bald allein. Doch ehe sie noch halb die Treppe herauf war, hörte sie, wie die Tür des Empfangszimmers aufging, und als sie sich umwandte, sah sie zu ihrem Erstaunen Edward selbst herauskommen.
    »Ich gehe ins Dorf, nach meinen Pferden sehen«, sagte er, »da Sie doch noch nicht frühstücken; ich bin sofort wieder zurück.«
     
    Edward kam mit frischer Bewunderung für die Umgebung wieder; auf seinem Weg ins Dorf hatte er viele Stellen des Tales in ihren schönsten Augenblicken gesehen; und das Dorf selbst, das viel höher lag als das Landhaus, bot einen umfassenden Blick auf das ganze Tal, der ihm außerordentlich gefallen hatte. Das war ein Thema, das Mariannes Aufmerksamkeit |109| garantierte, und sie begann, ihrer eigenen Bewunderung für diese Schauplätze Ausdruck zu verleihen und ihn sehr genau danach zu fragen, was ihn besonders beeindruckt habe; doch Edward unterbrach sie und sagte: »Sie dürfen nicht zu weit gehen mit Ihren Fragen, Marianne – bedenken Sie, daß ich mich mit dem Malerischen nicht auskenne, und ich würde Sie mit meiner Unwissenheit und meinem Mangel an Geschmack nur beleidigen, wenn wir auf Einzelheiten zu sprechen kämen. Ich würde die Hügel steil nennen, wenn sie kühn sein sollten – Oberflächen eigenartig und öde, wenn sie uneben und zerklüftet sein sollten – und ferne Gegenstände nicht sichtbar, wenn sie doch undeutlich durch das sanfte Medium einer dunstigen Atmosphäre zu sehen sein sollten. Sie müssen mit der Bewunderung zufrieden sein, die ich aufrichtig zeigen kann. Ich nenne dies eine sehr schöne Gegend – die Hügel sind steil, die Wälder haben einen schönen

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