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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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daß er eine Mutter hatte, deren Charakter sie so wenig kannte, daß sie eine allgemeine Entschuldigung für alles Seltsame an ihrem Sohn bot. Doch enttäuscht und irritiert, wie sie war, und manchmal auch verärgert über sein unbestimmtes Verhalten ihr gegenüber, war sie im ganzen sehr wohl geneigt |115| , seine Handlungen mit all den unvoreingenommenen Zugeständnissen und großmütigen Einschränkungen zu betrachten, die ihre Mutter ihr zu Willoughbys Gutem eher mühsam abgerungen hatte. Sein Mangel an Elan, an Offenheit, an Beständigkeit wurde zumeist seinem Mangel an Unabhängigkeit und seiner besseren Kenntnis von Mrs.   Ferrars Neigungen und Plänen zugeschrieben. Die Kürze seines Besuches und sein standhaftes Festhalten an seiner Absicht, sie so bald wieder zu verlassen, hatten ihren Ursprung in dem gleichen Hang zur Zurückhaltung, der gleichen unumgänglichen Notwendigkeit, seine Mutter hinzuhalten. Der alteingewurzelte Mißstand von Pflicht gegen Willen, Eltern gegen Kinder war die Ursache von allem. Wenn sie nur wüßte, wann diese Schwierigkeiten aufhören würden, wann dieser Widerstand gebrochen würde – wann Mrs.   Ferrars sich umstellen und es ihrem Sohn freistehen würde, glücklich zu werden. Doch von solchen fruchtlosen Wünschen war sie genötigt, sich abzuwenden und Trost in der Erneuerung ihres Vertrauens in Edwards Liebe zu suchen – in der Erinnerung an jedes Zeichen der Zuneigung in Wort und Blick, das ihm entschlüpfte, während er in Barton war, und vor allem an diesen schmeichelhaften Beweis dafür, den er beständig am Finger trug.
    »Ich denke, Edward,« sagte Mrs.   Dashwood, als sie an dem letzten Morgen beim Frühstück saßen, »Sie wären glücklicher, wenn Sie einen Beruf hätten, der Ihre Zeit ausfüllt und der Ihren Plänen und Handlungen eine Richtung gibt. Einige Unannehmlichkeiten für Ihre Freunde mögen sich allerdings daraus ergeben – Sie könnten ihnen nicht mehr soviel von Ihrer Zeit widmen. Aber« (mit einem Lächeln), »Sie würden zumindest in einem Punkt einen wesentlichen Nutzen daraus ziehen – Sie wüßten, wohin Sie zu gehen haben, wenn Sie von ihnen fortgingen.«
    »Ich versichere Ihnen, daß ich über diesen Punkt schon lange ebenso gedacht habe wie Sie jetzt. Es war, ist und wird wahrscheinlich immer ein großes Mißgeschick für mich sein, daß es für mich niemals eine notwendige Tätigkeit gab, die |116| mich in Anspruch genommen hätte – keinen Beruf, der mir etwas zu tun und mir so etwas wie Unabhängigkeit geben würde. Doch leider haben mich meine eigenen Ansprüche und die meiner Angehörigen zu dem gemacht, was ich bin – ein müßiges, hilfloses Wesen. Wir konnten niemals in der Wahl eines Berufes übereinkommen. Ich habe immer die Kirche bevorzugt, und das tue ich auch noch. Aber das war nicht schneidig genug für meine Familie. Sie empfahlen die Armee. Aber das war viel zu schneidig für mich. Auch die juristische Laufbahn wurde als vornehm genug anerkannt; viele junge Männer, die Anwaltsbüros in Temple hatten, machten eine sehr gute Figur in den ersten Kreisen und fuhren in sehr eleganten Gigs in der Stadt umher. Aber ich hatte keine Neigung für die Juristerei, nicht einmal zu dem unverbindlichen Studium, das meine Angehörigen billigten. Was die Marine angeht, so war sie durchaus in Mode, aber ich war zu alt, als diese Möglichkeit zuerst zur Sprache kam – und schließlich, da keine Notwendigkeit für mich bestand, überhaupt einen Beruf zu haben, da ich ebenso forsch und aufwendig auch ohne einen roten Rock auf meinem Rücken leben konnte als mit einem solchen, wurde Müßiggang im ganzen gesehen für das Vorteilhafteste und Ehrenvollste erklärt; und ein junger Mann von achtzehn Jahren ist im allgemeinen nicht so versessen darauf, immer beschäftigt zu sein, als daß er den Verführungen seiner Freunde zum Nichtstun widerstehen könnte. Ich wurde also in Oxford immatrikuliert und bin seit der Zeit dementsprechend müßig.«
    »Die Folge davon wird sein, nehme ich an«, sagte Mrs.   Dashwood, »daß Sie Ihre Söhne, da Müßiggang Ihr eigenes Glück nicht gefördert hat, zu so vielen Beschäftigungen, Berufen und Gewerben erziehen werden wie Columella.« *
    »Sie werden so erzogen werden«, sagte er in ernstem Ton, »daß sie mir so unähnlich wie nur möglich sind – in ihrem Fühlen, ihrem Handeln, ihren Eigenschaften, in allem.«
    |117| »Ach, kommen Sie, das ist alles nur der Ausdruck einer augenblicklichen

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