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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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länger wir vielleicht noch warten müssen. Der arme Edward! Es macht ihn ganz mutlos!« Dann nahm sie ein kleines Miniaturgemälde aus ihrer Tasche und fügte hinzu: »Um die Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen, seien Sie so gut und sehen Sie sich dieses Gesicht an. Es wird ihm gewiß nicht gerecht, aber ich denke doch, Sie können sich nicht in der Person täuschen, die hier gemalt worden ist. Ich habe es schon gut drei Jahre.«
    Sie reichte es ihr, während sie sprach, und als Elinor das Gemälde sah, konnte sie – welche sonstigen Zweifel auch aus Furcht vor einer zu hastigen Schlußfolgerung oder aus dem Wunsch heraus, eine Unwahrheit zu entdecken, in ihrem Kopf noch verweilen mochten – keinen daran haben, daß es Edwards Gesicht war. Sie gab es beinahe augenblicklich zurück und bestätigte, daß er es sei.
    »Es war mir nie möglich, ihm dafür auch ein Bild von mir zu geben, was mich sehr bedrückt, denn er wollte es immer so gern haben! Aber ich bin entschlossen, mich bei der allernächsten Gelegenheit porträtieren zu lassen.«
    »Sie haben vollkommen recht«, erwiderte Elinor ruhig. Sie gingen schweigend ein paar Schritte weiter. Lucy sprach zuerst wieder. »Ich habe gewiß nicht den geringsten Zweifel daran«, sagte sie, »daß Sie dieses Geheimnis sicher bewahren werden, denn Sie müssen wissen, wie wichtig es für uns ist, daß seine Mutter nichts davon erfährt, sie würde es bestimmt nicht billigen. Ich werde kein Vermögen haben, und ich glaube, sie ist eine außerordentlich stolze Frau.«
    »Ich habe Ihr Vertrauen gewiß nicht gesucht«, sagte Elinor; »aber es ist mehr als richtig, wenn Sie meinen, daß man mir vertrauen kann. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher; aber verzeihen Sie, wenn ich einige Verwunderung über eine so unnötige Offenbarung äußere. Sie müssen doch zumindest das Gefühl gehabt haben, daß mein Wissen um Ihr Geheimnis nicht gerade zu seiner Sicherheit beitragen würde.«
    |148| Als sie das sagte, sah sie Lucy eindringlich an, in der Hoffnung, etwas in ihrer Miene zu entdecken – vielleicht die Unwahrheit des größten Teiles dessen, was sie gesagt hatte, aber Lucys Miene zeigte keine Veränderung.
    »Ich fürchtete schon, Sie würden denken, ich nehme mir eine ziemliche Freiheit heraus«, sagte sie, »wenn ich Ihnen das alles erzähle. Ich kenne Sie noch nicht lange, gewiß, zumindest nicht persönlich, aber von Beschreibungen her kenne ich Sie und Ihre Familie schon eine ganze Zeit; und gleich als ich Sie sah, kam es mir fast so vor, als seien Sie eine alte Bekannte. Außerdem dachte ich in diesem Fall, daß ich Ihnen eine Erklärung schulde, nachdem ich mich so eingehend nach Edwards Mutter erkundigt hatte; und ich bin so unglücklich, nicht einen Menschen zu haben, den ich um Rat fragen kann. Anne ist die einzige, die davon weiß, aber sie hat überhaupt kein Urteilsvermögen; tatsächlich schadet sie mir weit mehr, als sie mir nützt, denn ich lebe in ständiger Angst, daß sie mich verrät. Sie kann ihren Mund nicht halten, wie Sie bemerkt haben müssen; und neulich, als Sir John Edwards Namen erwähnte, stand ich schreckliche Ängste aus, sie könnte mit all dem herauskommen. Sie können sich nicht vorstellen, wieviel ich in Gedanken an all das durchmache. Ich wundere mich nur, daß ich noch am Leben bin nach allem, was ich in diesen letzten vier Jahren um Edwards willen gelitten habe. Immer in solcher Spannung und Ungewißheit leben und ihn so selten sehen – wir können uns kaum mehr als zweimal im Jahr treffen. Ich wundere mich wirklich, daß es mir nicht das Herz gebrochen hat.«
    Hier nahm sie ihr Taschentuch heraus, doch Elinor konnte kein großes Mitleid aufbringen.
    »Manchmal«, fuhr Lucy fort, nachdem sie sich die Augen gewischt hatte, »denke ich, ob es nicht besser für uns beide wäre, die Sache gänzlich zu beenden.« Als sie das sagte, sah sie ihre Begleiterin sogleich an. »Aber ein andermal habe ich wieder nicht genügend Entschlußkraft dafür. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, ihn so unglücklich zu machen, denn ich weiß, daß die bloße Erwähnung einer solchen Möglichkeit |149| das tun würde. Und auch für mich – wo er mir so teuer ist   –, ich glaube nicht, daß ich dazu imstande wäre. Was würden Sie mir in einem solchen Fall raten, Miss Dashwood? Was würden Sie tun?«
    »Verzeihen Sie mir«, erwiderte Elinor, unangenehm überrascht von dieser Frage, »aber unter solchen Umständen kann ich Ihnen keinen Rat geben. Ihr

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