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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erkennen; und obgleich sie abwechselnd rot und blaß wurde, konnte sie nicht daran glauben und sah sich nicht in Gefahr, einen hysterischen Anfall zu bekommen oder ohnmächtig zu werden.
    »Sie mögen sehr wohl überrascht sein«, fuhr Lucy fort, |145| denn Sie konnten davon natürlich nichts ahnen; ganz bestimmt hat er Ihnen oder Ihrer Familie gegenüber niemals die kleinste Andeutung darüber gemacht, denn es sollte von Anfang an ein großes Geheimnis sein, und natürlich habe ich es bis zu dieser Stunde gewissenhaft gehütet. Von all meinen Verwandten weiß außer Anne keine Seele etwas davon, und ich hätte es Ihnen gegenüber niemals erwähnt, wenn ich nicht das allergrößte Vertrauen in Ihre Verschwiegenheit gehabt hätte; und dann glaubte ich auch, daß mein Verhalten, als ich Ihnen so viele Fragen über Mrs.   Ferrars stellte, seltsam erscheinen mußte und einer Erklärung bedurfte. Und Mr.   Ferrars kann gewiß nicht ungehalten sein, wenn er erfährt, daß ich mich Ihnen anvertraut habe, denn ich weiß, daß er die höchste Meinung der Welt von Ihrer ganzen Familie hat, und für ihn sind Sie und die anderen Misses Dashwood ganz wie seine eigenen Schwestern.« – Sie hielt inne.
    Elinor schwieg einige Augenblicke. Ihr Erstaunen über das, was sie da hörte, war anfangs so groß, daß sie keine Worte finden konnte; doch schließlich zwang sie sich zum Sprechen, und um mit allem Bedacht zu sprechen, sagte sie mit einer Ruhe, die ihre Überraschung und Besorgtheit leidlich gut verbarg: »Darf ich fragen, ob das Verlöbnis schon lange besteht?«
    »Wir sind jetzt vier Jahre verlobt.«
    »Vier Jahre!«
    »Ja.«
    Elinor war zwar außerordentlich bestürzt, konnte es aber noch immer nicht glauben.
    »Ich wußte ja bis vor kurzem nicht einmal«, sagte sie, »daß Sie sich überhaupt kannten.«
    »Aber unsere Bekanntschaft liegt schon viele Jahre zurück. Er befand sich nämlich eine beträchtliche Zeit unter der Obhut meines Onkels.«
    »Ihres Onkels!«
    »Ja, Mr.   Pratt. Haben Sie ihn nie von Mr.   Pratt sprechen hören?«
    »Ich denke schon«, erwiderte Elinor, deren wachsende Erregung ihr das Sprechen immer schwerer machte.
    |146| »Er war vier Jahre bei meinem Onkel, der in Longstaple, in der Nähe von Plymouth, lebt. Dort war es, wo wir uns kennenlernten, denn meine Schwester und ich hielten uns oft bei meinem Onkel auf; und dort verlobten wir uns auch, aber erst ein Jahr, nachdem er seine Schulzeit beendet hatte; aber er hielt sich danach fast immer bei uns auf. Ich habe mich sehr ungern ohne die Kenntnis und Billigung seiner Mutter darauf eingelassen, wie Sie sich denken können; aber ich war zu jung und habe ihn zu sehr geliebt, um so besonnen zu sein, wie es richtig gewesen wäre. Obgleich Sie ihn nicht so gut kennen wie ich, Miss Dashwood, müssen Sie doch so viel von ihm gesehen haben, um sich bewußt zu sein, daß er bei einer Frau sehr wohl wahre Liebe wecken kann.«
    »Gewiß«, erwiderte Elinor, ohne zu wissen, was sie sagte; doch nach kurzem Überlegen fügte sie, von neuem überzeugt von Edwards Ehre und Liebe und der Falschheit ihrer Begleiterin hinzu: »Verlobt mit Mr.   Edward Ferrars! Ich gestehe, daß ich so völlig überrascht bin von dem, was Sie mir da erzählen, daß ich wirklich   ..., verzeihen Sie, aber da muß eine Verwechslung der Person oder des Namens vorliegen. Wir können unmöglich den gleichen Mr.   Ferrars meinen.«
    »Wir können keinen anderen meinen«, rief Lucy lächelnd. »Mr.   Edward Ferrars, der ältere Sohn von Mrs.   Ferrars von Park Street und Bruder Ihrer Schwägerin, Mrs.   John Dashwood, ist die Person, die ich meine; Sie müssen mir zugestehen, daß
ich
mich kaum über den Namen des Mannes täuschen kann, von dem all mein Glück abhängt.«
    »Es ist seltsam«, entgegnete Elinor in höchst schmerzlicher Verwirrung, »daß ich ihn niemals Ihren Namen habe nennen hören.«
    »Wenn man unsere Lage bedenkt, ist es doch nicht seltsam. Unsere Hauptsorge war es, die Sache geheimzuhalten. Sie wußten nichts von mir oder meiner Familie, deshalb gab es gar keinen
Anlaß
, jemals meinen Namen Ihnen gegenüber zu nennen; und da er sich immer besonders davor fürchtete, daß seine Schwester etwas argwöhnen könnte, war
das
Grund genug, ihn nicht zu erwähnen.«
    |147| Sie schwieg. Elinors Gewißheit schwand, aber ihre Selbstbeherrschung schwand damit nicht.
    »Vier Jahre sind Sie also verlobt«, sagte sie mit fester Stimme.
    »Ja; und der Himmel weiß, wieviel

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