Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
gemalten Landschaft, das sie selbst angefertigt hatte als Beweis, daß sie sieben Jahre mit einigem |174| Erfolg in einer berühmten Schule in der Stadt zugebracht hatte.
    Da das Dinner nicht vor zwei Stunden nach ihrer Ankunft fertig sein würde, beschloß Elinor, die Zwischenzeit zu benutzen, um an ihre Mutter zu schreiben, und fing sogleich damit an. Einige Augenblicke später begann Marianne mit der gleichen Beschäftigung. »Ich schreibe nach Hause, Marianne«, sagte Elinor, »solltest du nicht lieber deinen Brief um ein, zwei Tage verschieben?«
    »Ich schreibe nicht an unsere Mutter«, erwiderte Marianne hastig, als wünschte sie, weitere Fragen zu vermeiden. Elinor sagte nichts weiter; ihr kam sofort der Gedanke, daß sie dann wohl an Willoughby schreiben müsse; und sie zog daraus augenblicklich den Schluß, daß die beiden – wie geheimnisvoll sie die Sache auch immer zu betreiben wünschten – verlobt sein mußten. Obgleich diese Überzeugung sie dennoch nicht ganz zufriedenstellte, machte sie ihr doch Freude, und sie setzte ihren Brief mit größerem Eifer fort. Mariannes war in sehr kurzer Zeit fertig; an Länge konnte es nicht mehr als ein Billett sein. Er wurde dann in fieberhafter Eile zusammengefaltet, versiegelt und adressiert. Elinor glaubte, ein großes W in der Adresse zu erkennen; und kaum war Marianne damit fertig, als sie auch schon läutete und den Lakai, der darauf erschien, bat, den Brief für sie mit der Londoner Stadtpost übersenden zu lassen. Damit war die Sache sofort klar.
    Marianne war weiter in bester Stimmung, doch es lag eine solche Unruhe darin, daß ihre Schwester nicht viel Freude daran haben konnte; und diese Aufregung steigerte sich noch im Laufe des Abends. Marianne konnte beim Dinner kaum etwas essen, und als sie danach in den Salon zurückkehrten, schien sie ängstlich auf jedes Geräusch einer herannahenden Kutsche zu lauschen.
    Elinor war sehr froh, daß Mrs.   Jennings, die in ihrem eigenen Zimmer sehr beschäftigt war, wenig von all dem sah. Das Teegeschirr wurde hereingebracht, und Marianne war schon mehr als einmal durch das Klopfen an einer benachbarten Tür enttäuscht worden, als plötzlich ein lauteres Klopfen zu hören |175| war, das nicht mit dem an einem anderen Haus verwechselt werden konnte. Elinor war sicher, daß es Willoughbys Kommen ankündigte, und Marianne sprang sofort auf und ging zur Tür. Alles war still; das war nicht lange zu ertragen, sie öffnete die Tür, ging ein paar Schritte auf die Treppe zu, und nachdem sie eine halbe Minute gelauscht hatte, kehrte sie mit der ganzen Aufregung in das Zimmer zurück, die die Überzeugung, ihn gehört zu haben, instinktiv hervorbringen mußte; im Freudentaumel ihrer Gefühle in diesem Augenblick konnte sie sich nicht enthalten auszurufen: »O Elinor, es ist Willoughby, wirklich, er ist es!« Und sie war schon fast im Begriff, sich in seine Arme zu werfen, als Colonel Brandon erschien.
    Der Schock war zu groß, um ihn ruhig ertragen zu können, und sie verließ augenblicklich das Zimmer. Elinor war ebenfalls enttäuscht, doch gleichzeitig garantierte die Freundschaft, die sie für Colonel Brandon empfand, daß er ihr willkommen war; auch schmerzte es sie sehr, daß ein Mann, der so eingenommen war für ihre Schwester, sehen mußte, wie diese bei seinem Anblick nichts als Kummer und Enttäuschung empfand. Sie erkannte sofort, daß dies auch von ihm nicht unbemerkt blieb und daß er Marianne, als sie hinausging, sogar so voller Erstaunen und Besorgnis nachsah, daß er sich kaum darauf besann, was die Höflichkeit ihr selbst gegenüber gebot.
    »Ist Ihre Schwester krank?« fragte er.
    Elinor bejahte das etwas gequält und sprach dann von Kopfschmerzen, gedrückter Stimmung, Übermüdung und allem anderen, dem sie das Benehmen ihrer Schwester mit Anstand zuschreiben konnte.
    Er hörte ihr mit größter Aufmerksamkeit zu, doch dann schien er sich zu fassen, sagte nichts mehr dazu und sprach sogleich von der Freude, sie in London zu sehen, und stellte die üblichen Fragen nach ihrer Reise und nach den Angehörigen, die sie zurückgelassen hatten.
    In dieser ruhigen Weise setzten sie ohne viel Interesse ihre Unterhaltung fort, beide in gedrückter Stimmung und beide |176| mit ihren Gedanken bei ganz anderen Dingen. Elinor hätte sehr gern gefragt, ob Willoughby zur Zeit in der Stadt sei, doch sie fürchtete, ihm durch Erkundigungen nach seinem Rivalen Kummer zu bereiten; und schließlich, nur um etwas zu sagen,

Weitere Kostenlose Bücher