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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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wurde nicht abgeführt, er wurde nicht erschossen, nach einer Weile kam er wieder herein und die Deutschen gingen weg. Auch seine Eltern und seine Geschwister haben keinen Ton gesagt, obwohl die Situation für Sam gefährlich war.
    Seit dieser ersten Razzia haben wir bestimmt ein Jahr lang fast ununterbrochen unter der Erde gehockt. Wir kamen nur nach oben, um kurz mal zu stehen oder uns zu waschen. Wir lagen auf Stroh, das wir nur auswechseln konnten, wenn die Schweine auch frisches Stroh bekamen. In der ganzen Zeit ist das zwei- oder dreimal geschehen.
    Nach Dezember 1944 gab es bei uns keine Razzia mehr. Wahrscheinlich lag das daran, dass Onkel Sam die holländische Polizei nach der siebten Razzia fragte, wo er sich beschweren könne. »Ihr kommt jetzt schon zum siebten Mal«, sagte er. »Mal aus Amsterdam, dann aus Haarlem, dann wieder aus Leiden. Ist euch noch immer nicht klar, dass ihr hier nichts zu suchen habt? Wir fühlen uns durch die Besuche sehr gestört.« Tante Ant schrieb danach auch noch einen Brief an den Bürgermeister, in dem sie mitteilte, nicht mehr belästigt werden zu wollen, da sich inzwischen ja wohl gezeigt habe, dass sie keine Juden versteckten.
    Wir haben keinen echten Hunger gelitten. Zu unserem Brot bekamen wir sogar eine Scheibe Käse. Wir legten sie auf die erste Scheibe Brot, verschoben sie dann aber auf die zweite, wenn wir anfingen zu essen. Erst bei der letzten Scheibe Brot wurde der »Schiebekäse« aufgegessen. Als während des Hungerwinters Menschen am Haus vorbeikamen und um Essen baten, rief Tante Ant uns zusammen. »Sollen wir eine Scheibe Brot weniger essen?«, fragte sie. »Dann haben wir was zum Weggeben.« Das haben wir gemacht, auch ihre Söhne, die den ganzen Tag auf dem Feld arbeiteten.
    Am Morgen des 5. Mai rief Tante Ant in den Keller: »Kommt nur raus, die Deutschen haben sich ergeben. Ihr dürft nach draußen.« Wir krochen aus dem Keller, was schwierig war, weil wir alle Wasser in den Knien hatten. Zehn Minuten später hörten wir Geschrei.
    »Wieder rein! Oben am IJweg wird gekämpft!«
    »Ich gehe nicht mehr rein«, sagte Harry, »wenn sie jetzt kommen, kämpfe ich mit.« Das war aber nicht mehr nötig.
    »Der Krieg ist vorbei«, sagte Tante Ant, »aber würde es euch etwas ausmachen, bis kommenden Sonntag zu bleiben? Dann gehen wir alle zusammen in die Kirche.«
    Der Spaziergang zur Kirche war mühsam, unsere Beine mussten sich erst wieder ans Laufen gewöhnen. Die Kirche war rappelvoll an diesem ersten Sonntag nach Kriegsende. Wir kamen als Letzte hinein: die Familie Breyer und elf Untertaucher. Die Kirchgänger trauten ihren Augen kaum. In der ersten Reihe waren Plätze für uns reserviert. Der Pfarrer sprach während der gesamten Predigt über Tante Ant und Onkel Sam. Für Tante Ant war das ein unvergesslich glorreicher Moment.
    Ich habe oft gesagt, dass die Zeit nach dem Krieg zehnmal so schlimm war wie der Krieg selbst. Während des Krieges waren wir wie betäubt. Wir dachten nur an die Befreiung, hofften nur, dass wir es bis zum Ende schaffen würden. Alle anderen Gedanken schoben wir beiseite.
    In den Wochen und Monaten nach der Befreiung wachten wir sozusagen auf – und wir erlebten echtes Leid. Fast unsere gesamte Familie war tot. In unserem Haus wohnten andere Leute. Wir lebten eine Weile in der Vorratskammer des Lagers meines Vaters. Jeden Tag ging ich zum Hauptbahnhof, um zu schauen, ob mein Vater auf der Liste der Menschen stand, die zurückkommen würden. Jemand wollte ihn irgendwo in Polen gesehen haben. Das stimmte nicht.
    Er stand dreimal auf der Liste. Jedes Mal war es ein Irrtum.

Tante Nelly

    Leni de Vries,
geboren in Neede am 20. Februar 1938
    Ich weiß noch, dass meine Mandeln herausgenommen wurden. Es war 1941 und ich war drei Jahre alt.
    Ich musste eine weiße Schale mit blauem Rand und zwei Henkeln festhalten. Ich trug eine braune Gummischürze, die mir die Krankenschwestern über den Kopf gezogen hatten. Auf die Schürze stellte ich die weiße Schüssel. Der Arzt kam herein, mit einer Art Salatlöffel und einer Gabel machte er sich an die Arbeit. An die restliche Operation erinnere ich mich nicht, auch nicht an die Schmerzen. Ich weiß wohl noch, dass ich in dieser Nacht im Krankenhaus bleiben musste und in einem Bett mit Holzgitter schlief. In der Nacht musste ich zur Toilette. Sie setzten mich auf eine Bettpfanne – schrecklich war das. Wegen der Infektionsgefahr durften meine Eltern nicht zu mir.
    Ich bekam eine Puppe, ich

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