Versteckt wie Anne Frank
von Enschede, im April 1945, wollte ich sofort zu meinen Eltern. Das ging nicht, denn sie waren in Apeldoorn, das erst ein paar Wochen später befreit wurde.
Meine Eltern waren zunächst in einem Hühnerstall in einem Wald untergetaucht. »Wir konnten zwar gackern, aber keine Eier legen«, sagte meine Mutter später oft. Weil es dort im Wald zu gefährlich wurde, hat man sie mit einem Krankenwagen nach Apeldoorn gebracht, wo sie den Rest des Krieges verbrachten. Meine Eltern hatten es mit ihrer Untertauchadresse sehr schlecht getroffen. Wenn Fleisch gegessen wurde, warf man ihnen die abgenagten Knochen zu. Die Leute nahmen Untertaucher nur wegen des Geldes auf, das sie über den Widerstand bekamen.
Es war gar nicht seltsam für mich, wieder bei meinen Eltern zu sein. Ich wusste noch genau, wie unser Haus aussah, wo die Kochlöffel in der Küche hingen, wo mein Puppenwagen stand. Als einziges der Kinder erinnerte ich mich noch an meine Eltern. Meine Schwestern beneiden mich sogar heute noch, dass ich noch so viel aus dieser Zeit weiß. Später habe ich mich auch über die Menge der Erinnerungen und Bilder gewundert, die ich aus der Zeit habe, als ich ein ganz kleines Mädchen war. Vor allem, weil ich mich kaum an die darauffolgende Grundschulzeit erinnere, als ich zwischen sieben und zwölf Jahre alt war.
Die ersten Monate nach dem Krieg waren schwer für meine Eltern. Sie hatten plötzlich vier Kinder im Haus, von denen drei riefen: »Ich will zurück zu meiner Mama.« »Du bist verrückt«, sagte ich dann, »das hier sind deine Mutter und dein Vater.« Mein Bruder war sechs Wochen alt, als er wegging, und drei Jahre, als er wiederkam. Meine Mutter sagte damals einmal: »Das Kind sagt mir nichts.« Später kamen dann Bemerkungen wie »genau wie sein Vater« oder »das hat er von seinem Opa«, aber zunächst war der kleine Junge für sie ein Fremder.
Ich fand es nach dem Krieg schwierig, mich an Menschen zu binden. Während des Krieges hatte ich mich so oft nach meinen Eltern gesehnt, aber nun, da ich wieder zu Hause war, stellte sich heraus, dass doch etwas zerbrochen war.
Meine Mutter konnte mir keine richtige Geborgenheit geben. Als ich selbst Kinder bekam, fand ich es erst sehr schwierig, sie in den Arm zu nehmen. Auch Freunde und Verwandte umarmte ich nicht. Irgendwann habe ich angefangen, es einfach zu tun, weil ich merkte, dass Leute das gern hatten. Das Gefühl der Wärme ist dadurch wieder zurückgekommen. Ich habe das neu lernen müssen.
Wenn ihr später nur heiratet
Benjamin Kosses,
geboren in Oude Pekela am 25. Oktober 1921
In den Jahren vor dem Krieg radelte ich zusammen mit etwa dreißig anderen Kindern jeden Tag vierzehn Kilometer zur Schule. Zu dieser Gruppe gehörten noch drei andere jüdische Kinder und ein paar Jungen aus NSB -Familien. Mittags aßen wir in der Schule. Damals war es üblich, dass die Mütter die Pausenbrote in alte Zeitungen wickelten. Eines Tages wickelte einer dieser Jungen sein Brot aus Volk en Vaderland , der Wochenzeitschrift der NSB . Er legte die Zeitung auf den Tisch und zeigte auf eine Zeichnung, die Karikatur eines reichen Juden, der deportiert wurde. Er schaute mich an: »Das müssten sie mit allen Juden machen.«
»Wenn du noch ein einziges Mal was über Juden sagst«, entgegnete ich, »dann hau ich dir mächtig eins auf die Mütze.« Die anderen fingen sofort an uns aufzuhetzen. Einen Moment später gab ich ihm eine feste Ohrfeige. Er schlug zurück. Irgendwann griff ich nach einem Lineal, so einem langen Ein-Meter-Lineal mit einer scharfen Kante, und holte aus. Er bückte sich, das Lineal rutschte mir aus den Händen und flog quer durch eine alte Landkarte an der Wand. Alle waren still. Ich stand auf und ging zum Haus von Herrn Jonker, dem Schuldirektor. Mit saurem Gesicht öffnete er die Tür, er ließ sich nicht gern in der Mittagspause stören. Ich erzählte ihm, was passiert war. »Geh schon mal zurück zur Schule«, sagte er, »ich komme gleich.«
Nachmittags um halb vier war er noch immer nicht gekommen. Mit der ganzen Gruppe radelte ich heimwärts. Etwa auf halber Strecke sprangen ein paar Jungen, Freunde des Jungen, mit dem ich mich geschlagen hatte, hinter den Bäumen hervor und zogen mich vom Rad. Ich teilte möglichst viel Prügel aus, aber gegen acht Mann konnte ich unmöglich etwas ausrichten. Schließlich landeten wir alle im Graben. Die Jungen und Mädchen, mit denen ich täglich zur Schule fuhr, rührten keinen Finger und sagten auch
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